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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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normale und solche, auf denen ein Slogan, ein Motto oder ein Witz geschrieben stand, etwa: Juchhu, Zeit für meine Kaffeepause oder Papi liebt Mami oder Die Letzte für heute oder die Letzte fürs Leben, Tassen mit albernen Sprüchen eben, bis man eines Tages, sicher wegen entsprechender Nachfrage, die Aufschriften der Tassen radikal veränderte und sie später auch mit kleinen Bildchen witzigen oder auch erotischen Inhalts garnierte, anfangs einfarbig, später aber, dank des Erfolgs dieser Initiative, mehrfarbig.
    »Man hat mir sogar das Gehalt erhöht«, sagte der Unbekannte. »Gibt es solche Tassen auch in Italien?«, fragte er dann.
    »Ja«, sagte Morini, »manche mit englischen, manche mit italienischen Aufschriften.«
    »Nun, alles lief wie geschmiert«, sagte der Unbekannte. »Uns Arbeitern machte die Arbeit mehr Spaß. Auch unseren Vorgesetzten machte sie mehr Spaß, und der Chef war froh. Aber nachdem wir ein paar Monate lang diese neuen Tassen produziert hatten, merkte ich, dass mein Glück unecht war. Ich fühlte mich glücklich, weil ich sah, dass die anderen es waren, und weil ich wusste, dass ich es auch sein sollte, aber in Wirklichkeit war ich nicht glücklich. Ganz im Gegenteil: Ich war noch unglücklicher als vor meiner Gehaltserhöhung. Ich hielt das für ein vorübergehendes Tief und versuchte, nicht darüber nachzudenken, aber nach drei Monaten konnte ich nicht mehr so tun, als wenn nichts wäre. Meine Laune sank, ich war jetzt noch jähzorniger als vorher, jeder Blödsinn brachte mich auf die Palme, ich fing an zu trinken. Endlich stellte ich mich dem Problem und kam zu dem Schluss, dass es mir einfach keinen Spaß machte, diese Art von Tassen herzustellen. Nachts litt ich wie ein Hund, glauben Sie mir. Ich dachte, ich würde wahnsinnig werden, nicht mehr wissen, was ich dachte oder tat. Manche Gedanken, die ich damals hatte, machen mir heute noch Angst. Eines Tages hatte ich einen Wortwechsel mit einem der Vorgesetzten. Ich sagte ihm, ich sei es leid, diese dämlichen Tassen herzustellen. Der Typ war ganz in Ordnung, er hieß Andy und versuchte immer, mit den Arbeitern zu reden. Er fragte mich, ob ich lieber die alten Tassen machen würde. So ist es, sagte ich. Ist das dein Ernst, Dick? fragte er. Mein voller Ernst, antwortete ich. Hast du mit den neuen Tassen mehr Arbeit? In keinster Weise, die Arbeit ist die gleiche, aber früher sind mir die verdammten Tassen nicht so an die Nieren gegangen, wie sie das jetzt tun. Wie meinst du das? fragte Andy. Na, dass mir die beschissenen Tassen früher nicht an die Nieren gingen und sie mich jetzt innerlich kaputtmachen. Was zum Teufel macht sie denn anders, abgesehen davon, dass sie jetzt moderner sind? fragte Andy. Genau das, antwortete ich. Früher waren die Tassen nicht modern, und obwohl es ihre Absicht war, mir an die Nieren zu gehen, schafften sie das nicht, ihre Attacken ließen mich kalt, jetzt dagegen ähneln die beschissenen Tassen diesen Samurais mit ihren beschissenen Samuraischwertern und machen mich wahnsinnig. Kurz, es war eine lange Diskussion, sagte der Unbekannte. Der Vorgesetzte hörte mir zu, verstand aber nicht das Geringste. Am nächsten Tag reichte ich meine Kündigung ein und verließ die Firma. Ich habe nie wieder gearbeitet. Wie finden Sie das?«
    Morini zögerte, bevor er antwortete. Schließlich sagte er:
    »Keine Ahnung.«
    »Das sagen fast alle: Keine Ahnung«, sagte der Unbekannte.
    »Was machen Sie jetzt?«, fragte Morini.
    »Nichts, ich arbeite nicht mehr, ich bin ein Londoner Bettler«, sagte der Unbekannte.
    Klingt so, als würde er mir eine Touristenattraktion zeigen, dachte Morini, hütete sich aber, das laut zu sagen.
    »Und wie finden Sie das Buch?«, fragte der Unbekannte.
    »Welches Buch?«, fragte Morini.
    Der Unbekannte wies mit einem seiner dicken Finger auf den Band aus dem Sellerio-Verlag in Palermo, den Morini zärtlich in einer Hand hielt.
    »Ah. Sehr gut«, sagte er.
    »Lesen Sie ein paar Rezepte vor«, sagte der Unbekannte in einem Ton, den Morini als drohend empfand.
    »Ich weiß nicht, ob ich so viel Zeit habe. Ich muss zu einer Verabredung mit einer Freundin.«
    »Wie heißt Ihre Freundin?«, fragte der Unbekannte im gleichen Ton.
    »Liz Norton.«
    »Liz, hübscher Name«, sagte der Unbekannte. »Und wie heißen Sie, wenn man fragen darf?«
    »Piero Morini«, sagte Morini.
    »Interessant«, sagte der Unbekannte. »Sie heißen fast genauso wie der Autor von dem Buch, das Sie lesen.«
    »Nein«, sagte

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