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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Kilometer von Villaviciosa entfernten Pfarrgemeinde San Cipriano ein, trotz des Verhörs durch den Priester und seiner Zweifel hinsichtlich der Identität des angeblichen Vaters. Ihre Ururgroßmutter sagte, es sei purer Hochmut, dem Namen Expósito, der für immer der ihre sei, den Namen Cura voranzustellen, und bald darauf, als Lalo zwei Jahre alt war und nackt im Patio des Hauses herumlief und die stets verschlossenen, gelben und weißen Häuser von Villaviciosa betrachtete, starb sie. Als Lalo vier war, starb die andere Oma, die Kindliche, und als er fünfzehn wurde, starb die Schwester von Rafael Expósito, sagte die Stimme oder sagten die Stimmen. Und als Pedro Negrete ihn abholen kam, damit er in den Dienst von Pedro Rengifo träte, lebten nur noch die Bohnenstange und seine Mutter.
    In dieser Einöde zu leben, dachte Lalo Cura, während der Wagen mit Epifanio am Steuer das einsame Gelände hinter sich ließ, ist, als würde man auf dem Meer leben. Die Grenze zwischen Sonora und Arizona ist eine Kette geisterhafter oder verzauberter Inseln. Die Städte und Dörfer sind Schiffe. Die Wüste ist ein unendliches Meer. Ein guter Ort für Fische, vor allem für jene Fische, die in Tiefseegräben leben, nicht für Menschen. Die Morde im März bewirkten, dass Journalisten aus DF laut einige Fragen stellten. Wenn der Mörder gefasst war, wer hatte dann all diese Frauen getötet? Wenn die Handlanger oder Komplizen des Mörders ebenfalls gefasst waren, wer war dann schuld am Tod all dieser Frauen? Gab es diese infame und unwahrscheinliche Jugendbande der sogenannten Bisons wirklich oder war sie nur eine Erfindung der Polizei? Warum wurde der Prozess gegen Haas immer wieder verschoben? Warum entsandten die Bundesbehörden nicht einen Staatsanwalt als Sonderermittler? Am vierten April erhielt Sergio González von seiner Zeitung den Auftrag, eine erneute Chronik der Morde in Santa Teresa zu schreiben.
    Am sechsten April fand man in der Nähe der Lagerhallen einer Getränkeabfüllanlage die Leiche von Michele Sánchez. Entdeckt wurde sie von zwei Arbeitern der Firma, die mit der Reinigung des Geländes betraut waren. Etwa fünfzig Meter von der Leiche entfernt stellte man ein Stück Eisen mit Blutspuren und Resten von Kopfhaut sicher, in dem man das Tatwerkzeug vermutete. Michele Sánchez lag, in alte Decken gehüllt, neben einem Reifenstapel, an einem Platz, wo nicht selten Landstreicher und die Schnapsnasen der Gegend ein Schläfchen hielten, was von der Firma weitgehend geduldet wurde. Friedliche Leute, nach Aussage der Nachtwächter, nur wenn sie in Streit gerieten, waren sie imstande, die Reifen in Brand zu stecken, und dann konnte es brenzlig werden. Das Gesicht der Toten zeigte Spuren von Schlägen, außerdem fanden sich leichte Quetschungen im Brustbereich und eine tödliche Schädelfraktur direkt hinter dem rechten Ohr. Sie trug eine schwarze Hose mit weißen Schmuckperlen, die bis zu den Knien heruntergezogen war, eine über die Brüste hochgeschobene rosa Bluse mit großen schwarzen Knöpfen, Schuhe nach Art grobstolliger Bergarbeiterstiefel. Büstenhalter und Höschen hatte sie noch an. Um zehn Uhr morgens war der Platz voller Schaulustiger. Kommissar José Márquez zufolge, der die Ermittlungen leitete, war die Frau an Ort und Stelle angegriffen und erschlagen worden. Die Journalisten, die ihn kannten, baten, näher herangehen zu dürfen, um Fotos schießen zu können, was der Kriminalbeamte ihnen nicht verwehrte. Man wisse nicht, wer die Tote sei, da sie keinerlei Papiere bei sich trage. Aber sie sei wohl noch keine zwanzig, sagte José Márquez. Unter den Journalisten, die sich um die Leiche drängten, war auch Sergio González. Er hatte noch nie eine Tote gesehen. Die Reifenstapel bildeten in Abständen richtige Höhlen. In kalten Nächten kein schlechter Platz zum Schlafen. Man musste auf Knien hineinkriechen. Rauskommen war vermutlich schwieriger. Er sah zwei Beine und eine Decke. Er hörte, wie die Journalisten aus Santa Teresa José Márquez baten, sie aufzudecken, und wie dieser lachte. Er hatte genug gesehen und ging zurück zur Straße, wo er seinen gemieteten Käfer geparkt hatte. Am nächsten Tag wurde das Opfer als die sechzehnjährige Michele Sánchez identifiziert. Dem Autopsiebericht zufolge hatte ein schweres Schädelhirntrauma ihren Tod verursacht, sie war jedoch nicht sexuell missbraucht worden. Unter ihren Fingernägeln fanden sich Hautreste, was vermuten ließ, dass sie sich bis zuletzt gegen

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