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einen Anwalt, sagte José Patricio sehr ernst. Sergio wollte nichts trinken, und bald darauf stiegen alle drei in José Patricios BMW und fuhren auf immer dunkleren Straßen zum Haus von Florita. Während der Fahrt wollte José Patricio wissen, wie das Leben eines Klatschreporters in DF so wäre, und Sergio musste zugeben, dass er eigentlich für den Theater- und Kulturteil arbeite. Er erklärte in groben Zügen, wie er mit den Morden in Santa Teresa in Berührung gekommen war, und José Patricio und Reinaldo hörten aufmerksam und andächtig zu, wie Kinder, die zum elften Mal dieselbe Geschichte erzählt bekommen, die sie gleichermaßen ängstigt und in Bann schlägt, nickten ernst, Mitwisser desselben Geheimnisses. Dann jedoch, als sie schon fast bei Florita waren, wollte Reinaldo wissen, ob Sergio den berühmten TV-Moderator von Televisa kenne. Sergio gestand, dass er ihn vom Namen her kenne, ihm aber noch auf keiner Party begegnet sei. Daraufhin erzählte Reinaldo, dass dieser Moderator in José Patricio verliebt gewesen sei. Eine Zeitlang war er jedes Wochenende nach Hermosillo gekommen und hatte José Patricio und seine Freunde an den Strand eingeladen, wo er mit Geld nur so um sich warf. José Patricio war damals in einen Gringo verliebt, einen Juraprofessor aus Berkeley, und behandelte ihn wie Luft. Eines Nachts, sagte Reinaldo, nahm mich der berühmte Moderator mit auf sein Hotelzimmer und sagte, er habe mir einen Vorschlag zu machen. Ich nahm an, er würde in seiner Verzweiflung mit mir ins Bett gehen oder mich nach DF mitnehmen wollen, damit ich dort unter seiner Ägide eine zweite Fernsehkarriere starten könnte, aber der Moderator war nur darauf aus, zu reden, und Reinaldo sollte zuhören. Anfangs, sagte Reinaldo, empfand ich bloß Verachtung. Er ist nicht gerade attraktiv und im wirklichen Leben noch hässlicher als im Fernsehen. Damals kannte ich Florita Almada noch nicht, und mein Leben war das eines Sünders. (Lachen.) Kurz: Ich verachtete ihn, wahrscheinlich beneidete ich ihn auch um sein Glück, das ich für unverdient hielt. Jedenfalls, sagte Reinaldo, begleitete ich ihn auf sein Zimmer, die beste Suite im besten Hotel von Bahía Kino, von wo aus wir Jachtausflüge zur Isla Tiburón oder Isla Turner unternahmen, eine Suite mit allem erdenklichen Luxus, sagte Reinaldo, während er die ärmlichen Häuser entlang der Avenida betrachtete, auf der José Patricios BMW dahinglitt, und da saß nun der berühmte Moderator, Televisas Darling, am Fußende seines Bettes, ein Glas in der Hand, das Haar wirr und die Augen zu Schlitzen verengt, dass man sie fast nicht mehr sah, und als er aufschaute, als er bemerkte, dass ich im Zimmer war und abwartend dastand, brach es aus ihm heraus, diese Nacht werde wahrscheinlich seine letzte sein. Ich war, wie du dir denken kannst, wie versteinert, denn ich dachte sofort: Die Schwuchtel bringt erst mich um und dann sich selbst, nur um José Patricio postum eins auszuwischen. (Lachen.) Sagt man so, postum? So ungefähr, sagte José Patricio. Ich sagte also zu ihm, hör mal, damit spaßt man nicht. Hör mal, lass uns lieber einen Spaziergang machen. Und während ich redete, schielte ich nach seiner Pistole. Aber ich konnte sie nirgends entdecken, obwohl er sie natürlich unter seinem Hemd versteckt haben konnte, wie ein Killer, obwohl er in diesem Augenblick gar nicht wie einer aussah, eher verzweifelt und einsam. Ich erinnere mich, dass ich den Fernseher mit dem Nachtprogramm aus Tijuana einschaltete, eine Talkshow, und sagte: Ich bin mir sicher, du würdest das unter den gleichen Umständen besser hinkriegen, aber der Moderator würdigte den Fernseher keines einzigen Blicks. Er starrte nur auf den Boden und murmelte, dass das Leben keinen Sinn habe und man lieber gleich Schluss machen solle. Blah, blah, blah. Egal was ich sagte, so viel wurde mir klar, ich konnte es mir schenken. Er hörte mir nicht einmal zu, wollte mich nur um sich haben, für alle Fälle. Für welchen Fall genau? Keine Ahnung, jedenfalls für alle Fälle. Ich erinnere mich, dass ich auf den Balkon trat und auf die Bucht hinunterschaute. Es war eine Vollmondnacht. Wie schön die Küste ist, dachte ich, bloß schlimm, dass uns das nur in Krisensituationen auffallt, wenn wir es kaum genießen können. Wie schön die Küste ist und der Strand und der Himmel voller Sterne. Dann wurde mir langweilig, und ich setzte mich wieder in den Sessel im Zimmer, und um nicht das Gesicht des Moderators sehen zu müssen,
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