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schaute ich auf den Fernseher, wo ein Typ erzählte, er sei der Träger, er sagte das genau so, als spräche er von einer Geschichte aus dem Mittelalter oder aus der Politik, er sei der Träger des Ausweisungsrekords für die USA. Was glaubt ihr, wie oft er illegal in die Vereinigten Staaten eingereist war? Dreihundertfünfundvierzig Mal! Und dreihundertfünfundvierzig Mal wurde er festgenommen und nach Mexiko abgeschoben. Und das innerhalb von vier Jahren. Mit einem Schlag war mein Interesse geweckt. Ich stellte ihn mir in meiner Sendung vor. Stellte mir vor, was ich ihn fragen würde. Ich zerbrach mir den Kopf, wie ich an ihn rankommen könnte, denn die Geschichte, das wird niemand bestreiten wollen, war hochinteressant. Der Typ vom Fernsehen in Tijuana stellte ihm eine entscheidende Frage: Woher er das Geld gehabt habe, um die Schlepper zu bezahlen, die ihn nach drüben brachten? Denn es war klar, dass er in den USA bei dem irren Rhythmus seiner Ausweisungen schlicht keine Zeit hatte, um zu arbeiten und etwas auf die hohe Kante zu legen. Seine Antwort war verblüffend. Er sagte, anfangs habe er gezahlt, was die Schlepper verlangt hätten, dann aber, so nach der zehnten Abschiebung, habe er zu feilschen begonnen, habe Rabatt verlangt, nach der fünfzigsten Abschiebung dann nahmen ihn die Schlepper und Schleuser aus Freundschaft mit, und etwa nach der hundertsten Abschiebung, glaubte er, nahmen sie ihn mit, weil er ihnen leidtat. Mittlerweile, sagte er zu dem Moderator aus Tijuana, nähmen sie ihn als Maskottchen mit, denn nach Ansicht der Schlepper brachte er Glück, da seine Anwesenheit gewissermaßen den Stress der anderen verringerte: Wenn jemand aufflog, dann er und nicht die an- deren, zumindest wenn es ihnen gelang, ihn nach dem Grenzübertritt abzuschütteln. Sagen wir: Er war, so seine eigenen Worte, zu der gezinkten Karte, dem markierten Geldschein geworden. Daraufhin stellte ihm der Moderator, der ein schlechter Moderator war, zuerst eine dämliche und dann eine gute Frage. Die dämliche Frage lautete, ob er seinen Rekord ins Guiness-Buch eintragen zu lassen gedenke. Der Typ wusste nicht einmal, wovon, zum Teufel, der andere sprach, er hatte in seinem ganzen Leben noch nichts von einem Guiness-Buch gehört. Die gute Frage lautete, ob er es weiter versuchen werde. Was versuchen? fragte der Typ. Versuchen, über die Grenze zu kommen, sagte der Moderator. Der Typ sagte, so Gott wolle und ihm Gesundheit gebe, ja, die Idee, in den USA zu leben, sei keine Sekunde lang in ihm verblasst. Bist du es nicht leid? fragte der Moderator. Hast du nicht Lust, zurück in dein Dorf zu gehen oder dir hier in Tijuana einen Job zu suchen? Der Typ lächelte gewissermaßen verschämt und sagte, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt habe, könne man daran nichts ändern. Der Typ war verrückt, verrückt, verrückt, ein Verrückter, wie er im Buche steht, sagte Reinaldo, aber ich befand mich in dem verrücktesten Hotel von Bahía Kino, und neben mir am Fußende des Bettes saß der verrückteste Fernsehmoderator von DF, woran also konnte er schon denken? Natürlich dachte der Moderator nicht mehr daran, sich umzubringen. Er saß noch immer am Fußende des Bettes, aber seine Augen, müde Hundeaugen, hingen am Fernseher. Was hältst du davon. Kann es so jemanden geben? Ist er nicht bezaubernd? Ist er nicht die personifizierte Unschuld? Dann stand der Moderator auf, nahm die Pistole, die er die ganze Zeit unter einem Bein oder einer Pobacke verborgen hatte, und ich erbleichte wieder schlagartig, und er machte eine Geste, eine kaum wahrnehmbare Geste, als würde er sagen, ich bräuchte mir keine Sorgen zu machen, und ging ins Bad, ohne die Tür hinter sich zuzumachen, und ich dachte, verdammt, jetzt bringt er sich um, stattdessen aber pinkelte er ausgiebig, alles blieb sozusagen familiär, alles renkte sich ein, der laufende Fernseher, die unverschlossene Tür, die Nacht wie ein Handschuh über dem Hotel, der perfekte Illegale, den ich für meine Sendung haben wollte, den vielleicht auch der in José Patricio verliebte Moderator in seiner Sendung haben wollte, der monströse Illegale, König der Pechsträhne, der Mann, der das Schicksal Mexikos auf seinen Schultern trug, der lächelnde Illegale, dieses echsenhafte Wesen, dieser harmlose, schmierige und nicht sehr intelligente Dago, dieses Stückchen Kohle, das, anders reinkarniert, ein Diamant hätte sein können, dieser Unberührbare, der nicht in Indien, sondern in Mexiko zur Welt
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