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sich aus, seiner Natur nach, leicht und zufriedenstellend und wirklich war.
Ein einziges Mal habe ich ihn gesehen, sagte Haas. In einer Diskothek oder vielmehr in einem Laden, der wie eine Diskothek aussah, aber wohl nur eine Bar war, in der zu laute Musik lief. Ich war mit Freunden dort. Freunden und Kunden. Und an einem der Tische saß dieser Bursche, zusammen mit Leuten, die einer meiner Begleiter kannte. Neben ihm saß sein Vetter Daniel Uribe. Ich wurde beiden vorgestellt. Sie machten den Eindruck von wohlerzogenen Jungs, beide sprachen englisch und sahen aus wie Landwirte, aber es war klar, dass das nur an ihrer Kleidung lag. Sie waren groß und kräftig, Antonio Uribe größer als sein Vetter, und man merkte, dass sie ins Fitnessstudio gingen, Gewichte stemmten und ihre Körper pflegten. Man merkte auch, dass sie auf ihr Äußeres achteten. Sie trugen einen Dreitagebart, aber rochen gut, korrekter Haarschnitt, saubere Hemden, saubere Hosen, alles von bekannten Marken, die Cowboystiefel glänzten, die Unterwäsche war vermutlich auch sauber und Markenware, mit anderen Worten: Zwei moderne junge Menschen. Ich plauderte eine Weile mit ihnen (über belanglose Dinge, die man an solchen Orten hört und sagt, Männergespräche, könnte man sagen: Über neue Autos, DVDs, Country-Musik, Paulina Rubio, Drogenballaden, eine Schwarze, deren Name mir gerade nicht einfällt, Whitney Houston? Nein, die nicht, Lana Jones? Auch nicht, eine Schwarze, von der ich grad nicht weiß, wie sie heißt) und trank ein Glas mit ihnen und den anderen, und dann verließen wir alle die Diskothek, warum, weiß ich nicht mehr, auf einen Schlag alle raus, und draußen in der Nacht verlor ich die Uribes aus den Augen, das war meine einzige Begegnung mit ihnen, aber sie waren es, und dann zog mich einer meiner Freunde in seinen Wagen, und wir fuhren davon, als würde gleich eine Bombe hochgehen.
In der Nähe des Fußballplatzes von PEMEX, zwischen der Hauptstraße nach Cananea und der Eisenbahnlinie, fand man am zehnten Oktober, halb vergraben und in stark verwestem Zustand, die Leiche der achtzehnjährigen Leticia Borrego García. Der Körper steckte in einem großen Plastiksack, und dem Gerichtsmediziner zufolge war ihr Tod durch Erwürgen und Bruch des Zungenbeins herbeigeführt worden. Das Mädchen wurde von seiner Mutter identifiziert, die sie einen Monat zuvor vermisst gemeldet hatte. Warum machte sich der Mörder die Mühe, ein kleines Loch zu graben und so zu tun, als wollte er sie begraben?, fragte sich Lalo Cura, während er sich am Tatort umschaute. Warum warf er sein Opfer nicht einfach auf den Seitenstreifen der Straße nach Cananea oder zwischen die Trümmer der alten Eisenbahnschuppen? War es ein Versehen, dass der Mörder sein Opfer neben einem Fußballfeld liegengelassen hatte? Eine Zeitlang, bis man ihn vertrieb, stand Lalo Cura da und betrachtete die Stelle, wo man die Leiche gefunden hatte. In das Loch hätte mit Mühe der Körper eines Kindes oder Hundes gepasst, aber niemals der einer Frau. Hatte es der Mörder eilig, sein Opfer loszuwerden? War es Nacht gewesen, und kannte er sich hier nicht aus?
In der Nacht vor Albert Kesslers Ankunft in Santa Teresa erhielt Sergio González Rodríguez um vier Uhr morgens einen Anruf von der Journalistin und PRI-Abgeordneten Azucena Esquivel Plata. Als er den Hörer abnahm und schon fürchtete, jemand aus der Familie würde ihn wegen eines Trauerfalls anrufen, hörte er eine Frauenstimme, resolut, herrisch, gebieterisch, die Stimme einer Frau, die es nicht gewohnt war, um Entschuldigung zu bitten, und auch anderen keine Entschuldigung durchgehen ließ. Die Stimme fragte, ob er allein sei. Er schlafe schon, sagte Sergio. Aber bist du allein, Mensch, oder bist du nicht allein? In diesem Moment erkannte sein Ohr oder auditives Gedächtnis die Stimme. Sie musste Azucena Esquivel Plata gehören, der María Félix der mexikanischen Politik, der Nummer eins, der Dolores del Río des PRI, der Tongolele wollüstigen Angedenkens einiger Abgeordneter und nahezu aller Polit-Journalisten von jenseits der Fünfzig oder, richtiger, annähernd sechzig, die wie Kaimane in den mehr geistigen als realen, von Azucena Esquivel Plata regierten, einige sagten: Erfundenen Sumpf eintauchten. Ich bin allein, sagte er. Und im Schlafanzug, hab ich recht? Sie haben recht. Dann ziehen Sie sich was an und kommen Sie runter, in zehn Minuten hole ich Sie ab. In Wirklichkeit trug Sergio keinen Schlafanzug, aber es kam
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