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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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ihm unhöflich vor, ihr gleich als Erstes zu widersprechen. Er schlüpfte in Jeans und Socken, zog sich einen Pullover über und ging hinunter zur Haustür. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sah er einen Mercedes mit ausgeschalteten Scheinwerfern. Auch er wurde vom Mercedes aus gesehen, denn eine der hinteren Türen öffnete sich und eine Hand mit vielen Ringen an den Fingern bedeutete ihm, einzusteigen. In einer Ecke der Rückbank saß in ein schottisches Plaid gehüllt die Abgeordnete Azucena Esquivel Plata, die Nummer eins, die trotz der Dunkelheit und als wäre sie die uneheliche Tochter von Fidel Velázquez ihre Augen hinter einer schwarzen Sonnenbrille mit schwarzer Fassung und breiten, schwarzen Bügeln verbarg, einer Brille, wie Stevie Wonder sie manchmal trug und wie sie auch häufig Blinde benutzten, die nicht wollten, dass Neugierige ihre leeren Augenhöhlen sahen.
    Zunächst flog er nach Tucson, und von Tucson nahm er ein Sportflugzeug, das ihn nach Santa Teresa brachte. Der Generalstaatsanwalt von Sonora erklärte, demnächst, in einem oder in anderthalb Jahren, würden die Bauarbeiten zum neuen Flughafen von Santa Teresa beginnen, der groß genug zu werden verspreche, dass auch Boeings landen konnten. Der Oberbürgermeister der Stadt hieß ihn willkommen, und während sie die Grenzkontrolle passierten, begann zu seinen Ehren ein Mariachi zu spielen und ein Lied zu singen, in dem, glaubte er zumindest, sein Name fiel. Der Oberbürgermeister stieß den Grenzbeamten zur Seite, der die Pässe stempelte, und trug dem berühmten Gast höchstpersönlich den Stempel ein. Im Moment des Abstempelns nahm Kessler eine völlig unbewegliche Haltung ein. Den Stempel hochhaltend, das Lächeln von Ohr zu Ohr wie eingemeißelt, damit die versammelten Fotografen in Ruhe ihre Fotos schießen konnten. Der Generalstaatsanwalt machte einen Witz, und alle lachten, mit Ausnahme des Grenzbeamten, der nicht sehr glücklich dreinschaute. Dann stiegen alle ein und fuhren in einer Fahrzeugkolonne zum Rathaus, in dessen Sitzungssaal der Ex-FBI-Agent seine erste Pressekonferenz geben sollte. Er wurde gefragt, ob sich bereits die Akte oder etwas Aktenähnliches zu den Frauenmorden von Santa Teresa in seinem Besitz befinde. Er wurde gefragt, ob Terry Fox, der Hauptdarsteller aus Die umschatteten Augen, tatsächlich, also auch im wirklichen Leben, ein Psychopath sei, wie seine dritte Frau vor ihrer Scheidung behauptet hatte. Er wurde gefragt, ob er schon einmal in Mexiko gewesen sei, und wenn ja, ob es ihm gefallen habe. Er wurde gefragt, ob es stimme, dass R. H. Davis, der Schriftsteller und Autor von Die umschatteten Augen und Mörder unter Kindern und Der Codename, nicht schlafen könne, wenn in seinem Haus kein Licht brenne. Er wurde gefragt, ob er bestätigen könne, dass Ray Samuelson, der Regisseur von Die umschatteten Augen, Davis den Zugang zum Film-Set verwehrt habe. Er wurde gefragt, ob eine Mordserie wie die von Santa Teresa in den Vereinigten Staaten möglich gewesen wäre. Kein Kommentar, sagte Kessler und grüßte sehr entspannt in die Runde, bedankte sich bei den Journalisten und verschwand in Richtung Hotel, wo man die beste Suite für ihn reserviert hatte, die hier nicht Präsidentensuite oder Hochzeitssuite hieß, wie in fast allen Hotels, sondern Wüstensuite, denn vor seinem nach Süden und Westen hin ausgerichteten Balkon erstreckte sich in ihrer ganzen Größe und Einsamkeit die Wüste von Sonora.
    Sie sind aus Sonora, sagte Haas, aber auch aus Arizona. Was soll das heißen?, sagte einer der Journalisten. Sie sind Mexikaner, aber auch US-Amerikaner. Sie haben die doppelte Staatsbürgerschaft. Gibt es die doppelte Staatsbürgerschaft für Mexiko und die USA? Die Anwältin nickte, ohne aufzuschauen. Und wo leben sie?, fragte einer der Journalisten. In Santa Teresa, aber sie haben auch ein Haus in Phoenix. Uribe, sagte einer der Journalisten, kommt mir irgendwie bekannt vor. Ja, mir auch, sagte ein anderer. Sind sie vielleicht verwandt mit dem Uribe aus Hermosillo? Welchem Uribe? Na, mit dem Kerl aus Hermosillo, sagte der Reporter von El Sonorense, der mit den Transporten. Mit dem Lkw-Fuhrpark. In diesem Moment schoss Chuy Pimentel ein Foto von den Journalisten. Junge Leute, schlecht gekleidet, einige, die aussahen, als würden sie sich dem Meistbietenden verkaufen, arbeitswillige Burschen mit müden, übernächtigten Gesichtern, die sich untereinander anschauten und eine Art Kollektivgedächtnis in Gang

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