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schien er sich das Gesicht gewaschen zu haben, er sah keinen der auf Barhockern oder an Tischen sitzenden Gäste an und ging ins Restaurant. Er bestellte einen Salatteller Cäsar, ein paar Scheiben Schwarzbrot, Butter und ein Bier. Während er auf das Essen wartete, erledigte er einen Anruf von dem Apparat am Eingang zum Restaurant. Dann kehrte er zu seinem Platz zurück und zog aus einer der Sakkotaschen ein spanisch-englisches Wörterbuch und suchte nach ein paar Wörtern. Dann stellte ein Kellner den Salat auf den Tisch, und Kessler trank ein paar Schluck mexikanisches Bier und strich Butter auf eine Scheibe Brot. Er stand erneut auf und ging Richtung Toilette. Er ging aber nicht hinein, sondern gab dem für die Sauberhaltung der Restaurant-Toiletten zuständigen Herrn einen Dollar, wechselte mit ihm ein paar Worte und bog dann in einen seitlichen Gang, öffnete eine Tür und durchquerte einen Flur. Am Ende tauchten die Hotelküchen auf, über denen eine Wolke hing, die nach scharfen Soßen und mariniertem Fleisch roch, und Kessler fragte einen der Küchenjungen, wo es auf die Straße gehe. Der Küchenjunge geleitete ihn bis zur Tür. Kessler gab ihm einen Dollar und ging über den Hof hinaus. An der Ecke rief er ein Taxi und stieg ein. Machen wir eine Runde durch die ärmeren Viertel, sagte er auf Englisch. Der Taxifahrer sagte okay und fuhr los. Die Fahrt dauerte etwa zwei Stunden. Sie fuhren durch die Innenstadt, durch die Siedlung Madero-Norte und die Siedlung México, bis kurz vor der Grenze, von wo aus man Adobe sah, das bereits auf US-amerikanischem Gebiet lag. Dann kehrten sie nach Madero-Norte zurück und schlängelten sich durch die Straßen der Siedlungen Madero und Reforma. Das war es nicht, was ich sehen wollte, sagte Kessler. Und was wollten Sie sehen, Chef?, fragte der Taxifahrer. Armenviertel, Industriegebiete, Maquiladoras, wilde Müllkippen. Der Taxifahrer fuhr zurück durch die Innenstadt, nahm Kurs auf die Siedlung Félix Gómez, nahm dort die Avenida Carranza, auf der sie die Siedlungen Veracruz, Carranza und Morelos durchquerten. Die Avenida endete auf einem großen Platz oder Rondell, auf dessen dunkelgelbem Lehmboden sich Lastwagen, Busse und Stände drängten, an denen Leute alles Mögliche, von Gemüse und Hühnern bis hin zu billigem Schmuck, kauften und verkauften. Kessler bat den Fahrer, anzuhalten, er wolle sich umschauen. Der Taxifahrer sagte, besser nicht, Chef, das Leben eines Gringos ist hier nicht viel wert. Glauben Sie, ich bin von vorgestern?, fragte Kessler. Der Taxifahrer verstand den Ausdruck nicht und wiederholte, er steige besser nicht aus. Halten Sie an, verdammt noch mal, sagte Kessler. Der Taxifahrer bremste und sagte, er solle ihn bezahlen. Wollen Sie zurückfahren?, fragte Kessler. Nein, ich warte auf Sie, aber wer garantiert mir, dass Sie noch einen Cent in der Tasche haben, wenn Sie wiederkommen? Kessler lachte. Wie viel? Zwanzig Dollar würden reichen, sagte der Taxifahrer. Kessler gab ihm eine Zwanzigdollarnote und stieg aus. Mit gelockerter Krawatte, Hände in den Hosentaschen, schlenderte er eine Zeitlang über den improvisierten Markt. Er fragte eine Alte, die Ananas mit Chili verkaufte, wohin die Lastwagen führen, da sie alle die gleiche Richtung nähmen. Wieder zurück nach Santa Teresa, sagte die Alte. Und dort hinten, was liegt da?, fragte er auf Spanisch und wies in die entgegengesetzte Richtung. Na, der Industriepark, sagte die Alte. Aus Höflichkeit kaufte er ihr ein Stück Ananas mit Chili ab, das er wegwarf, sobald er sich etwas entfernt hatte. Wie Sie sehen, ist mir nichts passiert, sagte er zum Taxifahrer, als er wieder am Wagen stand. Wird wohl ein Wunder gewesen sein, sagte der Taxifahrer und grinste in den Rückspiegel. Fahren wir mal zum Industriepark, sagte Kessler. Am anderen Ende des Rondells gabelten sich der Weg und beide Trassen kurz darauf erneut. Alle sechs Wege waren asphaltiert und liefen im Industriepark Arsenio Farrel zusammen. Werkhallen wie riesige Schiffsaufbauten, jede Fabrik von Zäunen umgeben, an hohen Masten Flutlicht, das allem einen ungewissen Nimbus von Torschluss und Großereignis verlieh, zu Unrecht, weil es nur einen weiteren Arbeitstag beleuchtete. Kessler stieg wieder aus und atmete die Luft der Maquiladora, die Arbeitsluft des mexikanischen Nordens. Die Busse, die mit Arbeitern eintrafen, die Busse, die mit Arbeitern davonfuhren. Eine feuchte, übelriechende Luft wie von verbranntem Öl schlug ihm ins Gesicht. Er
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