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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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die Geschäfte führen sollte. Ich fragte, ob sie sich mit den Leuten in Verbindung gesetzt habe, für die sie nach Santa Teresa gekommen war. Sie bejahte. Nach Aussage des Mannes, der sie engagiert hatte, war Kelly einen Tag nach der Party zum Flughafen gefahren, um in die Maschine von Santa Teresa nach Hermosillo zu steigen, von wo aus sie nach DF weiterfliegen wollte. Und wann war das? Vor zwei Wochen, sagte sie. Ich stellte mir vor, wie die Frau am Telefon hing, schick, aber ohne Esprit gekleidet, verheult, mit verlaufenem Make-up, und dachte dann, dass es das erste Mal war, dass sie mich anrief, dass wir zum ersten Mal so miteinander sprachen, und machte mir Sorgen. Hast du bei den Krankenhäuser in Santa Teresa und bei der Polizei angerufen?, fragte ich. Ja, sagte sie, aber niemand wisse etwas. Sie fuhr von der Ranch zum Flughafen und verschwand, löste sich einfach in Luft auf, sagte sie mit piepsiger Stimme. Von der Ranch? Die Party fand auf einer Ranch statt, sagte sie. Das heißt, sie mussten sie begleiten, jemand musste sie zum Flughafen bringen. Nein, sagte sie. Kelly hatte sich einen Wagen geliehen. Und wo ist der Wagen geblieben? Er wurde auf dem Parkplatz am Flughafen gefunden, sagte sie. Also ist sie am Flughafen angekommen, sagte ich. Aber nicht in ihr Flugzeug gestiegen, sagte sie. Ich fragte nach dem Namen der Leute, die sie engagiert hatten. Eine Familie Salazar Crespo, sagte sie und gab mir eine Telefonnummer. Ich will sehen, was ich in Erfahrung bringen kann, sagte ich. In Wirklichkeit glaubte ich, Kelly werde in Kürze wieder auftauchen. Wahrscheinlich hatte sie sich in ein Liebesabenteuer gestürzt, und so, wie die Dinge lagen, war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein verheirateter Mann im Spiel. Ich dachte sie mir in Los Angeles oder San Francisco, zwei Städte, bestens geeignet für Liebende, die es sich gutgehen lassen wollen, ohne groß aufzufallen. Ich versuchte also, die Sache ruhig anzugehen und abzuwarten. Nach einer Woche jedoch rief ihre Mitarbeiterin wieder an und sagte, sie habe noch immer keine Nachricht von meiner Freundin. Sie sprach von ein oder zwei geplatzten Verträgen, von denen sie nicht wusste, wie sie mit ihnen umgehen sollte, mit einem Wort, sie wollte mir sagen, dass sie sich allein fühlte. Ich stellte sie mir noch aufgelöster vor, sah sie in dem düsteren Büro herumtigern, und mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich fragte, ob sie in Santa Teresa etwas in Erfahrung hatte bringen können. Sie habe mit der Polizei gesprochen, aber dort wisse man von nichts oder wolle ihr nichts sagen. Sie hat sich einfach in Luft aufgelöst, sagte sie. Am selben Nachmittag rief ich vom Büro aus einen engen Vertrauten an, der eine Zeitlang für mich gearbeitet hatte, und schilderte ihm den Fall. Er sagte, darüber sollten wir besser persönlich sprechen, also verabredeten wir uns im Rostro Pálido, einer Cafeteria, die gerade groß in Mode war und von der ich nicht weiß, ob sie noch existiert, in Mexiko, wie Sie wissen, sind die Moden wie die Menschen, sie lösen sich in Luft auf oder verstecken sich, und niemand vermisst sie. Ich erklärte ihm die Sache mit Kelly. Er stellte mir ein paar Fragen. Notierte sich den Namen Salazar Crespo und sagte, er würde mich am Abend anrufen. Als wir uns verabschiedeten und ich in mein Auto stieg, dachte ich, dass andere an meiner Stelle bereits in Panik geraten wären oder langsam geraten würden, doch in mir war nur ein immer stärkeres Gefühl von Entschlossenheit und unbändiger Wut, einer Wut, die die Esquivel Plata in Jahrzehnten oder Jahrhunderten angestaut hatten und die schlagartig von meinem Nervensystem Besitz ergriff, außerdem dachte ich mit Wut und Reue, dass diese Entschlossenheit oder diese Wut früher von mir hätte Besitz ergreifen müssen, nicht erst befördert, wenn das das richtige Wort ist, nicht erst begünstigt durch eine persönliche Freundschaft, auch wenn diese persönliche Freundschaft den Begriff persönlicher Freundschaft zweifellos übererfüllte, sondern durch all die Dinge, die ich mit gesehen habe, seit ich klar denken kann, aber nein, aber nein, aber nein, so ist dieses erbärmliche Leben, sagte ich zu mir, zähneknirschend und unter Tränen. Nachts gegen dreiundzwanzig Uhr rief mein Freund an, und seine erste Frage war, ob die Leitung sicher sei. Schlechtes Zeichen, schlechte Nachrichten, dachte ich sofort. Aber ich war nach außen sofort wieder eiskalt. Ich sagte, die Leitung sei absolut

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