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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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veröffentlicht hat. Von denen hätte er sich niemals getrennt, selbst wenn morgen die Welt unterginge. Einen Moment lang versuchte sich Mary-Sue das Haus von Hernández Mercado ins Gedächtnis zu rufen. Im Wohnzimmer gab es einige Bücher, im Schlafzimmer auch. Alles zusammen nicht mehr als hundert Bände. Es war keine große Bibliothek, aber für einen autodidaktischen Arbeiterjournalisten möglicherweise ausreichend, und mehr als das. Ihr war nicht in den Sinn gekommen, dass sich unter den Büchern auch die befinden könnten, die von Hernández Mercado selbst stammten. Und du glaubst, er wäre nicht ohne sie gegangen? Nie im Leben, sagte der Junge, die waren für ihn so was wie seine Kinder. Mary-Sue dachte, dass Hernández Mercados eigene Bücher nicht schwer gewesen sein konnten und dass er sie auf keinen Fall in Kalifornien hätte nachkaufen können.
    Am neunzehnten Dezember wurde auf einem Gelände in der Nähe der Siedlung Kino, wenige Kilometer vom Gut Gavilanes del Norte entfernt, ein Plastiksack mit den Überresten einer Frau gefunden. Die Polizei erklärte, es handle sich um ein weiteres Opfer der Bisonbande. Dem Gerichtsmediziner zufolge war das Opfer zwischen fünfzehn und sechzehn Jahre alt, maß ein Meter fünfundfünfzig bis ein Meter sechzig, und hatte sich der Mord vor rund einem Jahr ereignet. In dem Sack befanden sich eine billige marineblaue Hose, wie sie die Frauen aus den Maquiladoras tragen, wenn sie zur Arbeit gehen, ein Hemd und ein schwarzer Plastikgürtel mit großer Plastikschnalle, ein sogenannter Schmuckgürtel. Den Fall leitete Marcos Arana, der gerade aus Hermosillo hierherversetzt worden war und vorher im Drogendezernat gearbeitet hatte, doch erschienen am ersten Tag die beiden Kommissare Ángel Fernandez und Juan de Dios Martínez am Tatort. Als man Letzterem mitteilte, er solle den Fall Arana überlassen, der seine Feuertaufe erhalten sollte, machte er einen Rundgang durch die Umgebung bis vor die Tore des Gutes Gavilanes del Norte. Das Dach und die Fenster des Haupthauses waren noch intakt, aber alle anderen Gebäude sahen aus wie nach einem Wirbelsturm. Eine Zeitlang lief Juan de Dios auf dem Geisterhof herum, um zu sehen, ob er nicht wenigstens einen Bauern oder einen kleinen Jungen oder einen Hund dort träfe, aber nicht einmal Hunde gab es mehr dort.
    Was sollen Sie tun oder was will ich, dass Sie es tun? Ich will, sagte die Abgeordnete, dass Sie darüber schreiben, dass Sie weiter darüber schreiben. Ich habe Ihre Artikel gelesen. Sie sind gut, aber häufig ist dort, wo Sie hinschlagen, nur Luft. Ich möchte, dass Sie auf festen Grund schlagen, auf menschliches Fleisch, auf gesetzloses Fleisch, und nicht auf Schatten. Ich möchte, dass Sie nach Santa Teresa gehen und dass Sie die Stadt tief einatmen. Dass Sie in sie hineinbeißen. Ich habe Santa Teresa anfangs nicht gekannt. Ich hatte nur grobe Vorstellungen, wie alle, aber ich glaube, nach meinem vierten Besuch kannte ich allmählich die Stadt und die Wüste. Heute bekomme ich sie nicht mehr aus dem Kopf. Ich kenne die Namen von allen oder fast allen. Ich weiß von einigen illegalen Machenschaften. Aber zur mexikanischen Polizei kann ich nicht gehen. Und bei der Staatsanwaltschaft würde man denken, ich sei verrückt geworden. Ich kann meine Informationen auch nicht an die Gringo-Polizei weitergeben. Aus Patriotismus. Schließlich, so schwer es auch fällt (zuallererst mir selbst), bin ich doch Mexikanerin. Und außerdem mexikanische Abgeordnete. Wir klären das rustikal, wie immer, oder gehen zusammen unter. Es gibt Leute, denen ich nicht weh tun möchte, denen ich jedoch, das weiß ich, weh tun werde. Das geht in Ordnung, die Zeiten ändern sich, und auch der PRI muss sich ändern. Also bleibt mir nur die Presse. Vielleicht wegen meiner Zeit als Journalistin ist der Respekt, den ich für einige ihrer Vertreter empfinde, ungebrochen. Außerdem, wenn auch das System etliche Mängel hat, besitzen wir zumindest die freie Meinungsäußerung, was der PRI fast immer respektiert hat. Ich habe gesagt, fast immer, machen Sie kein so ungläubiges Gesicht, sagte die Abgeordnete. Hier kann jeder problemlos veröffentlichen, was er will. Nun, darüber müssen wir jetzt nicht streiten, oder? Sie haben einen, wie man so sagt, politischen Roman veröffentlicht, in dem Sie von Anfang bis Ende nur haltlosen Mist verbreiten, und Ihnen ist nichts passiert, oder? Er wurde nicht zensiert und Sie nicht vor Gericht gestellt. Es war mein erster

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