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Muñoz Otero, der Drogenboss von Nogales, und ein gewisser Fabio Izquierdo, der eine Zeitlang den Drogenhandel in Hermosillo kontrollierte und später dafür zuständig war, Wege für Drogentransporte von Sinaloa nach Santa Teresa zu eröffnen, ebenso für Fuhren aus Oaxaca, Michoacán und sogar aus Tamaulipas, das zum Gebiet des Kartells von Ciudad Juárez gehörte. Dass Muñoz Otero und Fabio Izquierdo einige von Kellys Partys besuchten, war für Loya ausgemachte Sache. Da haben wir also Kelly, ohne Models, dafür mit Mädchen aus einfachsten sozialen Verhältnissen oder, offen gesagt, mit Nutten, auf gottverlassenen Drogenranchs, sodann haben wir da einen Banker, Salazar Crespo, einen Unternehmer, einen gewissen Catalán, einen Millionär, besagten Padilla, und wenn nicht Campuzano, so wenigstens zwei seiner Adlaten, Muñoz Otero und Fabio Izquierdo, dazu weitere Vertreter aus Gesellschaft, Unterwelt und Polizei. Ein Verein ehrenwerter Herrschaften. Und eines Morgens oder eines Nachts löst sich meine Freundin in Luft auf.
Tagelang versuchte Mary-Sue von der Redaktion des Independiente de Phoenix aus mit dem Journalisten in DF Kontakt aufzunehmen, der Daniel Uribe interviewt hatte. Er war offenbar so gut wie nie in der Redaktion, und die Leute, mit denen sie sprach, wollten nicht mit seiner Handynummer herausrücken. Als sie ihn schließlich am Apparat hatte, war der Mann mit der Stimme eines Trinkers und unangenehmen oder zumindest arroganten Zeitgenossen, wie Mary-Sue fand, nicht bereit, ihr die Telefonnummer von Daniel Uribe zu verraten, mit der Begründung, er müsse die Intimsphäre seiner Informanten schützen. Zu einem schlechten Zeitpunkt erinnerte ihn Mary-Sue daran, dass sie Kollegen seien, beide für die Presse arbeiteten, und der Typ erwiderte, nicht mal, wenn wir ein Liebespaar wären. Von Josué Hernández Mercado, dem verschwundenen Reporter von La Raza, fehlte jede Spur. Eines Nachts nahm sich Mary-Sue noch einmal ihr Archiv zum Fall Haas vor und stieß auf den Bericht, den Hernández Mercado im Anschluss an die spärlich besuchte Pressekonferenz im Gefängnis von Santa Teresa geschrieben hatte. Sein Stil war ebenso effekthascherisch wie armselig. Der Text strotzte vor Gemeinplätzen, Ungenauigkeiten, gewagten Behauptungen, Übertreibungen und flagranten Lügen. Mal stellte Hernández Mercado Haas als Sündenbock einer Verschwörung reicher Sonorenser dar, manchmal erschien er wie der Racheengel oder wie ein in einer Zelle sitzender, aber irgendwie gescheiterter Detektiv, der seine Henker nach und nach in die Enge trieb, einzig und allein durch seine Intelligenz. Um zwei Uhr morgens, als sie ihren letzten Kaffee trank, dachte Mary-Sue, dass niemand, der einigermaßen bei Verstand war, sich die Mühe gemacht haben konnte, einen Menschen zu ermorden und spurlos verschwinden zu lassen, der einen solchen Quark verzapft hatte. Was also war Hernández Mercado zugestoßen? Ihr Redaktionsleiter, der ebenfalls bis spät in die Nacht arbeitete, gab ihr mehrere mögliche Antworten. Er hatte die Nase voll und ist abgehauen. Er hat den Verstand verloren und ist abgehauen. Er ist einfach so abgehauen. Eine Woche später rief sie den jungen Journalisten an, der sie nach Sonoita begleitet hatte. Er fragte nach dem Bericht, den Mary-Sue über Hernández Mercado schreiben wollte. Ich werde nichts schreiben, sagte sie. Der Junge wollte den Grund wissen. Weil es kein Geheimnis gibt, sagte Mary-Sue. Bestimmt lebt und arbeitet Hernández irgendwo in Kalifornien. Glaube ich nicht, sagte der Junge. Mary-Sue kam es so vor, als würde der Junge schreien. Im Hintergrund hörte sie das Geräusch von einem oder mehreren Lastwagen, als telefonierte er auf dem Hof einer Spedition. Warum willst du das nicht glauben?, fragte sie. Weil ich in seiner Wohnung war, sagte der Junge. Auch ich war in seiner Wohnung und habe nichts gesehen, was darauf hindeuten würde, dass man ihn entführt hat. Er ist weg, weil er weg wollte. Nein, hörte sie den Jungen sagen. Wäre er aus freien Stücken gegangen, hätte er seine Bücher mitgenommen. Bücher sind schwer, sagte Mary-Sue, außerdem kann man sie nachkaufen. In Kalifornien gibt es mehr Buchhandlungen als in Sonoita, sagte sie in dem Versuch, zu scherzen, merkte aber im selben Moment, dass diese Bemerkung ganz und gar nicht witzig war. Ich spreche nicht von solchen Büchern, sondern von seinen, sagte der Junge. Welche seine ?, fragte Mary-Sue. Die, die er selbst geschrieben und
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