2666
Ente, die die vom Elefanten angeführte Prozession beschloss, deutete darauf hin. Er erinnerte sich, dass er damals noch nicht wieder im Besitz seiner Stimme war. Er erinnerte sich auch, dass er damals unaufhörlich in Anskys Heft gelesen, sich jedes seiner Worte eingeprägt und etwas sehr seltsames empfunden hatte, etwas, das sich manchmal wie Glück anfühlte, dann wieder wie eine Schuld, so unermesslich wie der Himmel. Und dass er die Schuld und das Glück annahm, dass er sogar in manchen Nächten beides addierte und dass diese eigentümliche Addition als Summe Glück ergab, aber ein anderes Glück, das ihm rücksichtslos das Herz abdrückte und das für Reiter nicht das Glück, sondern Reiter war.
Eines Nachts, drei Tage, nachdem er in Kostekino ankam, träumte er, die Russen kämen ins Dorf gestürmt und er würde, um zu entkommen, in den Bach, den Süßbach, springen und schwimmend vom Süßbach in den Dnjepr gelangen, und der Dnjepr oder vielmehr die Ufer des Dnjepr, das linke wie das rechte Ufer, wären voll von Russen, und einige von ihnen lachten, als sie ihn mitten auf dem Fluss auftauchen sahen, und schossen auf ihn, und er träumte, dass er vor den Schüssen abtauchte, sich von der Strömung treiben ließ und nur an die Oberfläche kam, um kurz Luft zu schnappen, und gleich wieder untertauchte, und dass er auf diese Weise Kilometer um Kilometer im Fluss zurücklegte, dabei manchmal drei, vier, fünf Minuten lang die Luft anhielt, Weltrekord, bis die Strömung ihn von der Stelle mit den Russen fortgetragen hatte, aber trotzdem setzte Reiter das Tauchen fort, kam hoch, holte Atem und tauchte weiter, und das Flussbett war wie ein grob gepflasterter Fahrdamm, hin und wieder sah er Schwärme kleiner, weißer Fische, und hin und wieder traf er auf eine bereits entfleischte Leiche, nur noch blanke Knochen, und diese Skelette, die den Flusslauf säumten, konnten Deutsche oder Russen sein, man wusste es nicht, denn die Kleidung war verrottet und mit der Strömung flussabwärts getrieben, und in Reiters Traum trieb auch er selbst flussabwärts, und manchmal, vor allem nachts, kam er an die Oberfläche und machte toter Mann, um ausruhen oder einmal fünf Minuten schlafen zu können, während der Fluss mit ihm im Arm unaufhörlich Richtung Süden floss, und als die Sonne aufging, tauchte Reiter wieder hinunter auf den schlammigen Grund des Dnjepr, und so vergingen die Tage, manchmal kam er nahe an einer Stadt vorbei, sah ihre Lichter oder hörte, wenn es keine Lichter gab, ein undeutliches Geräusch wie Möbelrücken, als würden Kranke Möbel hin und her schieben, und manchmal kam er unter Pontonbrücken hindurch und sah die kältestarren Schatten der Soldaten in der Nacht, Schatten, die auf die aufgewühlte Oberfläche des Wassers fielen, und eines Morgens schließlich mündete der Dnjepr ins Schwarze Meer, wo er starb oder sich verwandelte, und Reiter näherte sich dem Ufer des Flusses oder Meeres, auf unsicheren Beinen, als wäre er ein Student, der Student, der er nie war, der aus dem Wasser stieg und sich in den Sand fallen ließ, nachdem er bis zur Erschöpfung geschwommen war, wie betäubt, im Zenit seiner Ferien, um mit Entsetzen festzustellen, als er dann am Strand saß und auf die Weite des Schwarzen Meers schaute, dass Anskys Heft, das er unter dem Waffenrock trug, zu einer Art Papierteig verschmolzen war, die Tinte für immer ausgelöscht, eine Hälfte des Hefts an seiner Uniform oder an seiner Haut klebend, die andere Hälfte aufgelöst und in Klümpchen, unter den sanften Wellen davontreibend.
In diesem Moment erwachte Reiter und kam zu dem Schluss, dass er so schnell wie möglich aus Kostekino verschwinden sollte. Er zog sich schweigend an und ordnete seine wenigen Habseligkeiten. Er zündete kein Licht an und machte kein Feuer. Er dachte an den langen Weg, den er an diesem Tag würde zurücklegen müssen. Bevor er die Isba verließ, legte er noch Anskys Heft vorsichtig in das Versteck im Kamin zurück. Jetzt soll ein anderer es finden, dachte er. Dann öffnete er die Tür, schloss sie sorgfältig und verließ das Dorf mit langen Schritten.
Mehrere Tage später stieß er auf eine Kolonne seiner Division und ergab sich wieder der Monotonie von Standhalten und Zurückweichen, bis die Sowjets bei Bug, westlich von Perwomaisk, zum Vernichtungsschlag ausholten und die Reste der 79. Division in der 303. Division aufgingen. 1944, auf dem Weg nach Jassy, eine motorisierte russische Brigade dicht auf den
Weitere Kostenlose Bücher