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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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des Militärs oder der SS. Ich verfügte über keine Fachleute in der Sache, ich schickte nur ausländische Arbeitskräfte in die Fabriken des Reichs, was also sollte ich mit diesen Juden anfangen? Na, hilft ja nichts, sagte ich mir und ging also eines Morgens zum Bahnhof, um sie zu empfangen. Mitgenommen hatte ich den Chef der örtlichen Polizei und alle kurzfristig verfügbaren Polizeibeamten. Der Zug aus Griechenland hielt auf einem Abstellgleis. Ein Offizier reichte mir einige Papiere zur Unterschrift, worin ich ihm die Übergabe von fünfhundert Juden, Männern, Frauen und Kindern, quittierte. Ich unterschrieb. Dann näherte ich mich den Waggons. Unerträglicher Gestank schlug mir entgegen. Ich verhinderte, dass man sie alle öffnete. Es könnten sich Infektionen ausbreiten, sagte ich mir. Dann rief ich einen Freund an, der eine Verbindung zu jemandem herstellte, der Kommandant eines Judenlagers in der Nähe von Kulmhof war. Ich erklärte ihm mein Problem, fragte ihn, was ich mit meinen Juden machen sollte. Ich muss dazu sagen, dass es in meinem polnischen Dorf keine Juden mehr gab, nur betrunkene Kinder und Frauen, und Alte, die den lieben langen Tag damit zubrachten, den spärlichen Sonnenstrahlen nachzujagen. Der aus Kulmhof sagte, ich solle in zwei Tagen wieder anrufen, er habe, ob ich es glaubte oder nicht, selbst genug Probleme am Hals.
    Ich dankte ihm und legte auf. Kehrte zum Abstellgleis zurück. Der Offizier und der Lokführer erwarteten mich. Ich lud sie zum Frühstück ein. Kaffee, Wurst, Spiegeleier und Toast. Sie aßen wie die Wilden. Ich nicht. Ich war mit den Gedanken woanders. Sie sagten, ich müsse den Zug räumen, sie hätten Befehl, noch am gleichen Abend nach Südeuropa zurückzukehren. Ich sah sie an und sagte, ja, wird gemacht. Der Offizier sagte, ich könne dabei auf ihn und auf seinen Schutz zählen, wenn ihm im Gegenzug die Bahnhofsangestellten bei der Reinigung zur Hand gingen.
    Wir legten los. Der Gestank, den die Waggons beim Öffnen verströmten, veranlasste sogar die Klofrau vom Bahnhof, die Nase zu rümpfen. Acht Juden waren auf der Reise gestorben. Der Offizier ließ die Überlebenden antreten. Sie machten keinen guten Eindruck. Ich befahl, sie in eine verlassene Gerberei zu bringen. Einem meiner Angestellten sagte ich, er solle zur Bäckerei fahren und alles verfügbare Brot kaufen, um es an die Juden zu verteilen. Lass es auf meine Rechnung setzen, sagte ich, aber mach schnell. Dann ging ich ins Büro, um andere dringende Angelegenheiten zu erledigen. Gegen Mittag teilte man mir mit, dass der griechische Zug das Dorf verlasse. Von meinem Bürofenster aus sah ich die betrunkenen Kinder Fußball spielen, und einen Moment lang kam es mir so vor, als hätte auch ich zu viel getrunken.
    Die restliche Mittagszeit kümmerte ich mich darum, für die Juden eine weniger provisorische Unterkunft zu finden. Einer meiner Sekretäre schlug vor, sie arbeiten zu lassen. In Deutschland?, fragte ich. Hier, sagte er. Das war keine schlechte Idee. Ich befahl, etwa fünfzig Juden, eingeteilt in Brigaden zu zehn Mann, mit Besen auszustatten, damit sie mein Geisterdorf kehrten. Dann widmete ich mich wieder meinen Hauptaufgaben: Es gab Anfragen mehrerer Fabriken des Reichs für insgesamt zweitausend Arbeitskräfte, und auch vom Generalgouvernement lagen entsprechende Forderungen vor. Ich telefonierte herum, sagte, ich hätte fünfhundert Juden an der Hand, aber alle wollten sie Polen oder italienische Kriegsgefangene.
    Italienische Kriegsgefangene? Ich hatte im Leben noch keinen italienischen Kriegsgefangenen gesehen! Und alle verfügbaren Polen hatte ich bereits geschickt. Bis auf einen unverzichtbaren Rest. Ich rief also noch einmal in Kulmhof an und fragte, ob sie nun an meinen griechischen Juden interessiert seien oder nicht.
    ›Es wird schon einen Grund haben, dass man sie zu Ihnen geschickt hat‹, antwortete eine metallische Stimme.› Kümmern Sie sich um sie.‹
    ›Ich leite hier kein Judenlager‹, sagte ich, ›mir fehlt die nötige Erfahrung.‹
    ›Sie sind für sie verantwortlich‹, antwortete die Stimme, ›wenn Sie nicht weiterwissen, fragen Sie bei denen nach, die sie Ihnen geschickt haben.‹
    ›Guter Mann‹, erwiderte ich, ›der, der sie mir geschickt hat, sitzt vermutlich in Griechenland.‹
    ›Dann fragen Sie in Berlin, beim zuständigen Vertreter für Griechenland‹, sagte die Stimme.
    Vernünftige Antwort. Ich bedankte mich und legte auf. Einen Moment dachte ich darüber

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