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Satz, der mir, wenn nicht geheimnisvoll, so doch sehr seltsam vorkam. Das Glück steht mit dem Tod im Bunde, sagte er. Und machte ein Gesicht wie ein geschlachtetes Lamm, als müssten wir anderen ihn bedauern.
Der Mann war, glaube ich, im Dorf sehr beliebt, vor allem bei den Polinnen, die von einem Witwer mit drei in der Ferne weilenden erwachsenen Söhnen nichts zu befürchten hatten, ein ziemlich grobschlächtiger Alter, soviel ich weiß, aber nicht so geizig wie sonst die Bauern, der ihnen hin und wieder etwas zu essen oder anzuziehen schenkte, wenn sie im Gegenzug eine Nacht auf seinem Hof verbrachten. Ein echter Don Juan. Als die Partie nach einer Weile beendet war, verabschiedete ich mich von den Anwesenden und kehrte ins Büro zurück.
Ich rief wieder in Kulmhof an, bekam diesmal aber keine Verbindung. Einer meiner Sekretäre sagte, der Beamte im Griechenlandbüro habe empfohlen, die SS-Dienststelle beim Generalgouvernement anzurufen. Eine reichlich kurzsichtige Empfehlung, denn auch wenn unser Städtchen und unsere Region mit seinen Dörfern und Gehöften nur wenige Kilometer vom Generalgouvernement entfernt lag, so gehörten wir doch verwaltungstechnisch zu einem deutschen Gau. Was tun also? Ich beschloss, dass es mir für heute reichte, und konzentrierte mich auf andere Angelegenheiten.
Bevor ich nach Hause ging, bekam ich einen Anruf vom Bahnhof. Der Zug war noch nicht gekommen. Geduld, sagte ich. Im Innersten wusste ich, er würde nie kommen. Auf dem Heimweg begann es zu schneien.
Tags darauf stand ich zeitig auf und ging ins örtliche Kasino frühstücken. Alle Tische waren unbesetzt. Nach einer Weile erschienen, tadellos gekleidet, gekämmt und rasiert, zwei meiner Sekretäre mit der Neuigkeit, dass wieder zwei Juden gestorben seien. Woran?, fragte ich. Sie wussten es nicht. Sie waren einfach gestorben. Und diesmal handelte es sich nicht um zwei alte Leute, sondern um eine junge Frau und ihr ungefähr achtmonatiges Kind.
Betroffen senkte ich den Kopf und betrachtete mich sekundenlang in der dunklen, reglosen Oberfläche meines Kaffees. Vielleicht sind sie an Kälte gestorben, sagte ich. Heute Nacht hat es geschneit. Das ist möglich, sagten meine Sekretäre. Ich hatte das Gefühl, dass sich mir alles drehte.
›Schauen wir uns die Unterkunft einmal an‹, sagte ich.
›Welche Unterkunft?‹, fragten meine Sekretäre entgeistert.
›Die der Juden‹, sagte ich, schon auf dem Weg zur Tür.
Wie befürchtet, befand sich die alte Gerberei in einem Zustand, wie er schlimmer nicht hätte sein können. Sogar die wachhabenden Polizisten beklagten sich. Einer meiner Sekretäre sagte, sie würden nachts frieren, und die Wachablösungen würden nicht genau eingehalten. Ich sagte zu ihm, er solle die Frage der Wachablösung mit dem Polizeichef klären, außerdem sollten Decken gebracht werden. Natürlich auch für die Juden. Der Sekretär raunte mir zu, dass es schwierig werden würde, Decken für alle aufzutreiben. Ich sagte, er solle es versuchen, ich wolle wenigstens die Hälfte der Juden mit einer Decke versorgt sehen.
›Und die andere Hälfte?‹, fragte der Sekretär.
›Wenn sie zusammenhalten, wird jeder Jude seine Decke mit einem anderen teilen, wenn nicht, ist das ihre Sache‹, sagte ich.
Als ich ins Büro ging, fiel mir auf, dass die Straßen so sauber waren wie noch nie. Der übrige Tag verlief normal, bis ich am Abend einen Anruf aus Warschau bekam, vom dortigen Judenreferat, einer Behörde, von deren Existenz ich bis zu diesem Moment keine Ahnung gehabt hatte. Eine auffallend jugendliche Stimme fragte mich, ob es wahr sei, dass die fünfhundert griechischen Juden bei mir seien. Ich sagte ja und fügte hinzu, dass ich nicht wüsste, was ich mit ihnen machen solle, da mich niemand über ihre Ankunft unterrichtet habe.
›Sieht aus, als sei da etwas schiefgelaufen‹, sagte die Stimme. ›So sieht es aus‹, sagte ich und schwieg.
Das Schweigen dauerte eine ganze Weile an.
›Der Zug hätte in Auschwitz entladen werden sollen‹, sagte die jugendliche Stimme, ›vermute ich zumindest, keine Ahnung. Warten Sie einen Moment.‹
Zehn Minuten lang hielt ich den Hörer ans Ohr gepresst. In der Zwischenzeit erschienen meine Sekretäre mit einigen Papieren, die ich unterschreiben sollte, einer meiner Sekretäre mit einem Memorandum zur niedrigen Milchproduktion unserer Region und ein anderer Sekretär, der mir etwas sagen wollte, dem ich aber befahl zu schweigen und der auf einen Zettel
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