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2666

2666

Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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sie oft versucht habe, Reue zu empfinden, weil diese Jahre ihr so viel Vergnügen bereitet hatten, aber sosehr sie auch ihre hedonistische Haltung intellektuell oder - wie man vielleicht besser sagen sollte - moralisch verurteilte, die Wahrheit war doch, dass sie noch bei der Erinnerung daran vor Glück erschauerte.
    »Verstehst du das? Kannst du mich verstehen?« fragte sie, als sie bei Gebäck und Milchkaffee in einem Café saßen, das einem Märchen entstiegen schien, vor einer breiten Fensterfront mit Blick auf den Fluss und sanfte grüne Hügel.
    Anstatt ihr zu sagen, ob er sie verstand oder nicht, fragte Archimboldi, ob sie wisse, was mit dem rumänischen General Entrescu geschehen sei. Ich habe keine Ahnung, sagte die Baroness.
    »Ich schon«, sagte Archimboldi, »wenn Sie wollen, kann ich es Ihnen erzählen.«
    »Ich ahne, dass es nichts Gutes ist, was du mir von ihm berichten wirst«, sagte die Baroness. »Habe ich recht?«
    »Ich weiß nicht«, räumte Archimboldi ein, »so besehen ist es sehr schlecht, anders besehen wieder nicht.«
    »Du hast ihn gesehen, hast du?«, flüsterte die Baroness und schaute auf den Fluss, wo sich in diesem Moment zwei Schlepper begegneten, der eine auf dem Weg zum Meer, der andere auf dem Weg ins Landesinnere.
    »Ja, ich habe ihn gesehen«, sagte Archimboldi.
    »Dann erzähl mir noch nicht davon«, sagte die Baroness, »dafür ist später noch Zeit.«
    Einer der Kellner rief ihr ein Taxi. Die Baroness nannte den Namen eines Hotels. An der Rezeption lag eine Reservierung auf den Namen Archimboldi vor. Beide folgten dem Pagen zu einem Einzelzimmer. Archimboldi war erstaunt, auf einem der Möbel einen Radioapparat zu entdecken.
    »Pack deinen Koffer aus«, sagte die Baroness, »und mach dich etwas frisch, heute Abend essen wir gemeinsam mit meinem Mann.«
    Während Archimboldi damit beschäftigt war, ein Paar Socken, ein Hemd und eine Unterhose in einer Kommode zu verstauen, stellte die Baroness im Radio einen Sender mit Jazzmusik ein. Archimboldi ging ins Bad, rasierte sich, feuchtete die Haare an und kämmte sich. Als er herauskam, waren bis auf die Nachttischlampe alle Lichter im Zimmer gelöscht, und die Baroness befahl ihm, sich auszuziehen und ins Bett zu legen. Zugedeckt bis zum Kinn und mit einem Gefühl wohliger Müdigkeit betrachtete er von dort aus die Baroness, die mit nichts als einem schwarzen Häschen bekleidet vor dem Radio stand und am Radioknopf drehte, bis sie einen Sender mit klassischer Musik fand.
    Insgesamt blieb er drei Tage in Hamburg. Bei zwei Gelegenheiten aß er mit Herrn Bubis zu Abend. Bei der einen sprach er von sich und bei der anderen lernte er einige Freunde des berühmten Verlegers kennen und sagte fast kein Wort, aus Angst, irgendeine Dummheit von sich zu geben. Im engsten Freundeskreis von Herrn Bubis gab es keine Schriftsteller. Ein Banker, ein verarmter Adliger, ein Maler, der bloß noch Monographien über Maler des siebzehnten Jahrhunderts schrieb, und eine Französischübersetzerin, alle sehr kulturbeflissen, alle intelligent, aber keiner ein Schriftsteller.
    Trotzdem machte er kaum den Mund auf.
    Das Verhalten von Herrn Bubis ihm gegenüber hatte einen merklichen Wandel erfahren, was Archimboldi auf die guten Dienste der Baroness zurückführte, der er dann doch seinen wahren Namen verraten hatte. Er sagte ihn ihr, als sie im Bett lagen und miteinander schliefen, und die Baroness brauchte ihn nicht zweimal zu fragen. Übrigens war ihre Reaktion, als sie ihn bat, ihr zu sagen, was mit General Entrescu passiert sei, seltsam und in gewisser Weise aufschlussreich. Nachdem er ihr erzählt hatte, dass der Rumäne von der Hand seiner eigenen meuternden Soldaten umgekommen sei, die ihn erschlagen und anschließend gekreuzigt hatten, fiel der Baroness, als wäre eine Kreuzigung im zweiten Weltkrieg ein alltäglicher Anblick gewesen, nichts Besseres ein, als Archimboldi zu fragen, ob der Körper, den er am Kreuz hatte hängen sehen, nackt oder mit seiner Uniform bekleidet war. Archimboldi antwortete, er sei letzten Endes nackt gewesen, obwohl ihm eigentlich noch Fetzen seiner Uniform am Leib hingen, genug, damit die Russen, die ihnen auf den Fersen waren, bei ihrem Eintreffen dort erkannten, dass es sich bei dem Geschenk, das ihnen die Rumänen hinterlassen hatten, um einen General handelte. Er war aber nackt genug, damit die Russen sich mit eigenen Augen von den ungewöhnlichen Ausmaßen rumänischer Männlichkeit überzeugen konnten, was in

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