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blieb sozusagen das unerschöpfliche Fundament des Verlags, doch meldeten mit der Zeit auch neue Schriftsteller Ansprüche an, der unerschöpfliche Steinbruch der deutschen Literatur, außerdem die Übersetzungen französischer und angelsächsischer Literatur, die sich damals nach der langen nationalsozialistischen Durststrecke einen treuen Leserkreis erobern konnten, der den Erfolg des Verlages sicherte oder zumindest Verluste verhinderte.
Jedenfalls wurde, wenn auch nicht fieberhaft, so doch mit Hochdruck gearbeitet, und als Archimboldi im Verlag erschien, war sein erster Gedanke, dass der offenbar schwer beschäftigte Herr Bubis ihn nicht empfangen werde. Aber nachdem er ihn zehn Minuten hatte warten lassen, bat Bubis ihn in sein Büro, ein Büro, das Archimboldi nie vergessen sollte, denn Bücher und Manuskripte häuften sich, nachdem schon jeder Zentimeter in den Regalen belegt war, auf dem Fußboden, bildeten Stapel und Türme, einige so instabil, dass sie miteinander Bögen bildeten, ein chaotisches Abbild der Welt, herrlich und wunderbar trotz Ungerechtigkeit und Kriegen, eine Bibliothek großartiger Bücher, die Archimboldi für sein Leben gern gelesen hätte, Erstausgaben berühmter Autoren mit eigenhändiger Widmung an Jacob Bubis, Bücher mit entarteter Kunst, die andere Verlage jetzt wieder in Deutschland auf den Markt brachten, Buchveröffentlichungen aus Frankreich und England, schmucklose, in New York, Boston und San Francisco erschienene Ausgaben, außerdem amerikanische Zeitschriften mit mythischen Namen, für einen armen jungen Schriftsteller ein Schatz, die Zurschaustellung unerhörten Reichtums, der aus Bubis' Büro so etwas wie Ali Babas Höhle machte.
Auch die erste Frage, die Bubis ihm nach der üblichen Begrüßung stellte, würde er nicht vergessen:
»Wie lautet Ihr richtiger Name, denn natürlich heißen Sie nicht so?«
»Doch, das ist mein Name«, sagte Archimboldi.
Worauf Bubis erwiderte:
»Glauben Sie, die Jahre in England oder die Jahre überhaupt hätten aus mir einen kompletten Idioten gemacht? Niemand heißt so. Benno von Archimboldi. Schon Benno zu heißen ist verdächtig.«
»Warum?«, wollte Archimboldi wissen.
»Wissen Sie das nicht? Wirklich nicht?«
»Ich schwöre Ihnen, dass ich es nicht weiß«, versicherte Archimboldi.
»Na wegen Benito Mussolini, Menschenskind! Wo haben Sie Ihren Kopf?«
In diesem Moment war Archimboldi überzeugt, mit der Reise nach Hamburg nur Zeit und Geld verschwendet zu haben, und sah sich schon am Abend in den Nachtzug nach Köln steigen. Mit etwas Glück wäre er Morgen früh wieder zu Hause.
»Man nannte mich Benno nach Benito Juárez«, sagte Archimboldi, »ich nehme an, Sie wissen, wer Benito Juárez war.«
Bubis lächelte.
»Benito Juárez«, flüsterte er und lächelte weiter. »So so, Benito Juárez also«, sagte er mit etwas lauterer Stimme.
Archimboldi nickte mit dem Kopf.
»Ich dachte, Sie würden sagen, zu Ehren des heiligen Benedikt.«
»Den Heiligen kenne ich nicht«, sagte Archimboldi.
»Ich dagegen kenne drei«, sagte Bubis. »Den heiligen Benedikt von Aniane, der im neunten Jahrhundert den Benediktinerorden reformierte. Den heiligen Benedikt von Nursia, der im sechsten Jahrhundert den Orden gründete, der seinen Namen trägt, und den man als ›Vater Europas‹ kennt, ein brandgefährlicher Titel, finden Sie nicht? Und den heiligen Benedikt, genannt Benedikt der Mohr, weil er schwarz war, zur schwarzen Rasse gehörte, wollte ich sagen, geboren und gestorben im Sizilien des sechzehnten Jahrhunderts und Angehöriger des Franziskanerordens. Wen von den dreien bevorzugen Sie?«
»Benito Juárez«, sagte Archimboldi.
»Und der Nachname, Archimboldi, Sie verlangen doch nicht von mir, dass ich glaube, in Ihrer Familie hießen alle so?«
»Ich heiße so«, sagte Archimboldi und war kurz davor, das übellaunige Männchen mitten im Satz stehenzulassen und grußlos zu verschwinden.
»Niemand heißt so«, erwiderte Bubis verdrießlich. »Ich vermute, hier handelt es sich um eine Hommage an Giuseppe Arcimboldo. Und welcher Zweck heiligt dieses von? Reicht es Benno nicht, Benno Archimboldi zu sein? Möchte Benno seine germanische Abkunft kenntlich machen? Aus welchem Teil Deutschlands stammen Sie?«
»Ich bin Preuße«, sagte Archimboldi und erhob sich, um zu gehen.
»Warten Sie einen Moment«, brummelte Bubis, »bevor Sie in Ihr Hotel gehen, möchte ich, dass Sie bei meiner Frau vorbeischauen.«
»Ich gehe in kein Hotel«,
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