Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2666

2666

Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
Vom Netzwerk:
verschwundener Romancier, Inbegriff des schlechten und vom Pech verfolgten französischen Schriftstellers, geboren wahrscheinlich unter einem schlechten Stern.
    Als er das Haus durch den Hinterausgang verließ, saßen da in einer Hollywoodschaukel am Rand einer erleuchteten Veranda zwei alte Damen. Die eine sprach mit einer sanften, singenden Stimme, wie ein Bächlein, das durch ein Bett aus Kieselsteinen gluckert, die andere schaute stumm in die Dunkelheit des Waldes, der sich jenseits des Boule-Platzes ausdehnte. Die Sprechende kam ihm vor wie eine lyrische Dichterin, den Kopf voll von Geschichten, die sie in ihren Gedichten nicht hatte unterbringen können, die Stumme wie eine Autorin von Schundromanen, der sinnlosen Sätze und belanglosen Worte überdrüssig. Erstere trug ein jugendlich, fast kindlich anmutendes Kleid. Letztere einen billigen Morgenmantel, Turnschuhe und Jeans.
    Er wünschte ihnen auf Französisch einen guten Abend, und die alten Damen sahen ihn an und lächelten, als lüden sie ihn ein, sich zu ihnen zu setzen, wozu Archimboldi sich nicht lange bitten ließ.
    »Ist das Ihre erste Nacht in unserem Haus?«, fragte die jugendliche Alte.
    Bevor er hätte antworten können, sagte die schweigsame Alte, das Wetter würde besser, bald müssten sie alle in Hemdsärmeln herumlaufen. Archimboldi gab ihr recht. Die jugendliche Alte lachte, vielleicht dachte sie an ihre Garderobe, und fragte ihn dann, was er arbeite.
    »Ich bin Romanschriftsteller«, sagte Archimboldi.
    »Aber Sie sind kein Franzose«, sagte die schweigsame Alte.
    »Richtig, ich bin Deutscher.«
    »Aus Bayern?«, wollte die jugendliche Alte wissen. »Ich war einmal in Bayern und fand es wunderbar. Es ist so romantisch alles«, sagte die jugendliche Alte.
    »Nein, ich bin aus dem Norden«, sagte Archimboldi. Die jugendliche Alte tat, als würde es sie schütteln.
    »Ich war auch in Hannover«, sagte sie. »Sind Sie von dort?«
    »So ungefähr«, sagte Archimboldi.
    »Das Essen bei Ihnen ist unmöglich«, sagte die jugendliche Alte. Später erkundigte sich Archimboldi, was sie täten, und die jugendliche Alte sagte, bis zu ihrer Heirat sei sie Friseuse gewesen, in Rodez, und dann hätten ihr Mann und ihre Kinder es ihr nicht mehr erlaubt zu arbeiten. Die andere sagte, sie sei Schneiderin, hasse es aber, über ihre Arbeit zu sprechen. Was für seltsame Frauen, dachte Archimboldi. Als er sich von ihnen verabschiedete, begab er sich in den Garten, wobei er sich immer weiter vom Haus entfernte, das weiterhin teilweise beleuchtet war, als wartete man noch auf die Ankunft eines weiteren Besuchers. Er hatte kein genaues Ziel, genoss aber die Nacht und Landluft und gelangte schließlich zum Eingang, einem Holztor, das nicht richtig schloss und durch das jeder heraus oder herein konnte. Auf einer Seite entdeckte er ein Schild, das er bei seiner Ankunft mit dem Essayisten übersehen hatte. Auf dem Schild stand in dunklen, nicht sehr großen Buchstaben: Klinik Mercier. Erholungsheim - Neurologisches Zentrum. Schlagartig und ohne Überraschung begriff er, dass der Essayist ihn in ein Irrenhaus mitgenommen hatte. Nach einer Weile kehrte er ins Haus zurück und stieg die Treppe zu seinem Zimmer hinauf, wo er nach seinem Koffer und seiner Schreibmaschine griff. Bevor er ging, wollte er bei dem Essayisten vorbeischauen. Nachdem er geklopft und niemand ihm geantwortet hatte, trat er ins Zimmer.
    Der Essayist schlief tief und fest und hatte keine Lampe brennen, doch sickerte Licht vom vorderen Hauseingang durch die Vorhänge. Das Bett war kaum in Unordnung. Er sah aus wie eine von einem Taschentuch bedeckte Zigarette. Wie alt er ist, dachte Archimboldi. Dann ging er geräuschlos hinaus, und als er erneut den Garten durchquerte, meinte er einen weißgekleideten Typen zu sehen, der in Windeseile, und hinter Baumstämmen Deckung suchend, auf der linken Seite des Anwesens am Waldrand entlanglief.
    Erst außerhalb des Klinikgeländes, auf der Straße, verlangsamte er den Schritt und versuchte, seine Atmung zu beruhigen. Die Straße, ein Wirtschaftsweg, lief durch Wälder und über sanfte Hügel. Von Zeit zu Zeit bewegte ein Windstoß die Äste der Bäume und zerzauste sein Haar. Es war ein warmer Wind. Einmal überquerte er eine Brücke. Als er den Ortsrand erreichte, schlugen die Hunde an. Am Bahnhofsvorplatz fand er das Taxi, das ihn in die Klinik gebracht hatte. Der Fahrer war nicht da, aber als Archimboldi an dem Wagen vorbeiging, sah er eine Gestalt auf dem

Weitere Kostenlose Bücher