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2666

2666

Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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widerspiegelte, von dessen Aufführung Vernunft und Angst ernstlich abrieten, kam er zu dem Schluss, dass auch die Komödie so schlecht nicht gewesen sei, vielmehr ganz nett, auch er hatte ja gelacht, die Schauspieler waren gut, die Sitze bequem, die Eintrittspreise nicht überzogen.
    Am nächsten Tag erklärte er Norton, er müsse abreisen. Norton fuhr ihn zum Flughafen. Während des Wartens sagte Morini mit einer Stimme, die beiläufig klingen sollte, er glaube zu wissen, warum Johns sich die rechte Hand abgeschnitten habe.
    »Welcher Johns?«, fragte Norton.
    »Edwin Johns, der Maler, auf den du mich gestoßen hast«, sagte Morini.
    »Ach, Edwin Johns«, sagte Norton. »Warum?«
    »Wegen des Geldes«, sagte Morini.
    »Wegen des Geldes?«
    »Weil er an Investitionen glaubte, an den Kapitalfluss, wer nicht investiert, der nicht gewinnt, so ungefähr.«
    Norton machte ein nachdenkliches Gesicht und sagte dann: »Kann sein.«
    »Er hat es wegen des Geldes getan«, sagte Morini.
    Danach erkundigte sich Norton (zum ersten Mal übrigens) nach Pelletier und Espinoza.
    »Es wäre mir lieber, wenn sie nicht erführen dass ich hier war«, sagte Morini.
    Norton sah ihn fragend an und sagte, er brauche sich keine Sorgen zu machen, sie werde es für sich behalten. Dann fragte sie ihn, ob er sie anrufen werde, wenn er in Turin angekommen sei.
    »Selbstverständlich«, sagte Morini.
    Eine Stewardess kam und sprach mit ihnen, und nach ein paar Minuten entfernte sie sich lächelnd. Die Schlange der Passagiere setzte sich in Bewegung. Norton gab Morini einen Kuss auf die Wange und ging.
    Bevor sie die Galerie mehr nachdenklich als niedergeschlagen verließen, teilte ihnen der Besitzer und einzige Angestellte mit, dass sein Laden demnächst die Pforten schließen werde. Mit einem Lamékleid über dem Arm erzählte er ihnen, dass das Haus, in dem sich die Galerie befand, seiner Großmutter gehört hatte, einer sehr feinen und fortschrittlichen Dame. Als die Großmutter starb, erbten ihre drei Enkel das Haus, theoretisch zu gleichen Teilen. Er, einer der Enkel, lebte damals jedoch in der Karibik, wo er nicht nur lernte, Margaritas zu mixen, sondern wo er auch nachrichten- und geheimdienstliche Aufgaben erledigte. Er war in jeder Hinsicht so etwas wie ein Verschwundener. Ein Hippie-Spion mit ziemlich schlechten Angewohnheiten, wie er selbst sagte. Als er nach England zurückkehrte, stellte er fest, dass seine Vettern das ganze Haus in Beschlag genommen hatten. Von da an prozessierte er gegen sie. Doch Rechtsanwälte waren teuer, und schließlich musste er sich mit drei Zimmern zufriedengeben, in denen er seine Galerie aufzog. Aber das Geschäft lief nicht: Er verkaufte weder Gemälde noch Secondhand-Mode, und wenige Leute kamen wegen seiner Cocktails. Dieser Stadtteil ist zu schick für meine Kunden, sagte er, die Galerien befinden sich heute in den alten sanierten Arbeitervierteln, die Bars im traditionellen Kneipenviertel, und die Leute von hier kaufen keine gebrauchte Kleidung. Als Norton, Pelletier und Espinoza bereits aufgestanden waren und sich anschickten, die Metalltreppe hinunterzusteigen, die auf die Straße führte, meinte der Galerist, zu allem Überfluss würde ihm in letzter Zeit auch noch der Geist seiner Großmutter erscheinen. Dieses Geständnis machte Norton und ihre Begleiter hellhörig.
    Sie haben sie gesehen? fragten sie. Ich habe sie gesehen, sagte der Galerist. Anfangs hörte ich nur seltsame Geräusche wie von Wasser, sprudelndem Wasser. Es waren Geräusche, wie er sie nie zuvor in diesem Haus gehört hatte, obwohl sich vielleicht irgendeine logische Erklärung daraus ergab, dass zum Verkauf der Wohnungen das Haus neu aufgeteilt und neue sanitäre Einrichtungen eingebaut werden mussten. Aber nach den Geräuschen kam das Stöhnen, ein Ach und Weh, das weniger Schmerz als Befremden und Frustration verriet, als würde seine Großmutter durch ihr einstiges Haus irren und es nach der Aufteilung in mehrere kleine Wohnungen nicht wieder erkennen: Wände, an die sie sich nicht erinnern konnte, moderne Möbel, die ihr vulgär vorkommen mussten, und Spiegel, wo nie zuvor Spiegel gehangen hatten.
    Manchmal war der Galerist so deprimiert, dass er die Nacht in seinem Laden verbrachte. Selbstverständlich war er nicht wegen des gespenstischen Lärmens und Stöhnens so deprimiert, sondern wegen seiner schlechten Geschäfte und des drohenden Ruins. In diesen Nächten konnte er deutlich das Schlurfen und Ächzen seiner

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