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Gründen beleidigt zu fühlen. Am Ende wäre die drohende Schlägerei dadurch abgewendet worden, dass er, El Cerdo, sich entschuldigte oder Erklärungen gab und eine Runde Tequila spendierte. Jetzt legte sich niemand mit ihm an, als verliehe ihm die Tatsache, dass er eine Pistole unter dem Hemd trug oder einen hohen Posten in der Regierung bekleidete, eine Aura der Heiligkeit, die Schläger und Betrunkene von weitem wahrzunehmen vermochten. Küchenjungen Knilche Feiglinge, dachte El Cerdo. Sie riechen mich, riechen mich und scheißen sich in die Hosen. Dann dachte er an Voltaire (warum zum Teufel Voltaire?) und dann an eine alte Idee, die ihm seit geraumer Zeit durch den Kopf ging, dass er nämlich einen Botschaftsposten in Europa fordern könnte, oder wenigstens den eines Kulturattachés, obwohl eine Botschaft das Mindeste war, was sie ihm bei seinen Verbindungen anbieten durften. Nur schlecht, dass er in einer Botschaft lediglich ein Gehalt, das Botschaftergehalt, bekommen würde. Während der Deutsche aß, erwog er die Vor- und Nachteile, Mexiko den Rücken zu kehren. Zu den Vorteilen zählte zweifellos die Möglichkeit, seine schriftstellerische Arbeit wieder aufzunehmen. Er fand den Gedanken verführerisch, in Italien oder nicht weit weg von Italien zu leben und zu längeren Aufenthalten in der Toscana und nach Rom zu reisen, um einen Essay über Piranesi und seine imaginären Gefängnisse zu schreiben, die er weniger in den mexikanischen Gefängnissen als in der Einbildung und der Ikonographie einiger mexikanischer Gefängnisse extrapoliert sah. Zu den Nachteilen zählte zweifellos die räumliche Entfernung von der Macht. Sich von der Macht zu entfernen ist niemals gut, das hatte er sehr früh begriffen, noch bevor er zu wirklicher Macht gelangt war, damals, als er den Verlag leitete, der Archimboldi hatte veröffentlichen wollen.
»Hören Sie«, sagte er plötzlich, »hieß es nicht, man habe Sie nie gesehen?«
Der Alte sah ihn an und lächelte höflich.
Am selben Abend, nachdem auch Pelletier, Espinoza und Norton die Geschichte des Deutschen noch einmal aus dem Mund von Alatorre gehört hatten, riefen sie Almendro alias El Cerdo an, der Espinoza bereitwillig erzählte, was ihnen Alatorre bereits in groben Zügen berichtet hatte. Das Verhältnis zwischen ihm und El Cerdo war gewissermaßen ein Lehrer-Schüler-Verhältnis oder das von älterem zu jüngerem Bruder, und tatsächlich war es El Cerdo gewesen, der Alatorre das Stipendium in Toulouse besorgt hatte, was in gewisser Weise die Wertschätzung verriet, die El Cerdo für sein Brüderchen empfand, schließlich lag es in seiner Macht, üppigere Stipendien an renommierteren Orten zu gewähren, ganz zu schweigen von einem Pöstchen als Kulturattaché in Athen oder Caracas, keine große Sache, aber doch etwas, wofür Alatorre zutiefst dankbar gewesen wäre, obwohl er, um der Wahrheit die Ehre zu geben, das Toulouser Stipendium auch nicht verachtete. Beim nächsten Mal, da war er sich sicher, würde El Cerdo sich ihm gegenüber spendabler zeigen. Almendro wiederum war noch keine fünfzig, und sein Werk außerhalb von DF über alle Maßen unbekannt. Im DF jedoch und an einigen nordamerikanischen Universitäten, muss man zugeben, hatte sein Name einen vertrauten Klang, einen übermäßig vertrauten Klang. Wie also war Archimboldi, immer vorausgesetzt, es handelte sich bei dem alten Deutschen wirklich um Archimboldi und nicht um irgendeinen Spaßvogel, an seine Telefonnummer gekommen? El Cerdo äußerte die Vermutung, seine deutsche Verlegerin, Frau Bubis, habe sie ihm zugesteckt. Ziemlich verdutzt fragte ihn Espinoza, ob er die besagte Dame kenne.
»Selbstverständlich«, sagte El Cerdo, »ich war auf einem Fest in Berlin, einer Kulturcharreada mit einigen deutschen Verlegern, dort wurden wir einander vorgestellt.«
»Was zum Teufel ist eine Kulturcharreada?« schrieb Espinoza auf ein Blatt Papier, das alle sahen und nur Alatorre, an den es gerichtet war, entziffern konnte.
»Ich muss ihr meine Karte gegeben haben«, sagte El Cerdo am Telefon in Mexiko DF.
»Und auf Ihrer Karte stand Ihre Privatnummer.«
»So ist es«, sagte El Cerdo. »Ich muss ihr Karte A gegeben haben, auf Karte B steht nur meine Büronummer. Und auf Karte C nur die Nummer meiner Sekretärin.«
»Verstehe«, sagte Espinoza und wappnete sich mit Geduld.
»Auf Karte D steht gar nichts, nur mein Name, sonst nichts«, sagte El Cerdo und lachte.
»So, so«, sagte Espinoza, »auf Karte D
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