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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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die Schriftstellerei als die des Fremdenführers, glaubte zunächst, der Mexikaner, der im Übrigen nur zwei Romane von Archimboldi gelesen hatte, würde nur prahlen oder habe ihn falsch verstanden oder wisse nicht, dass Archimboldi seit jeher verschwunden war.
    Die Geschichte, die Alatorre in aller Kürze erzählte, war folgende: Sein Freund, ein Essayist, Romancier und Dichter namens Almendro, ein Typ von Mitte, Ende vierzig, bei seinen Freunden besser bekannt unter dem Spitznamen El Cerdo, das Schwein, hatte um Mitternacht einen Anruf bekommen. Nach einem kurzen Wortwechsel in deutscher Sprache zog er sich an und fuhr mit dem Wagen zu einem Hotel in der Nähe des Flughafens von Mexiko Stadt. Obwohl um die Zeit wenig Verkehr herrschte, kam er nach ein Uhr morgens im Hotel an. In der Lobby traf er auf den Empfangschef und einen Polizisten. El Cerdo zückte seine Marke, die ihn als hohen Regierungsbeamten auswies, und begab sich dann mit dem Polizisten zu einem Zimmer im dritten Stock. Anwesend waren zwei weitere Polizisten und ein alter Mann, deutscher Staatsbürger, der auf dem Bett saß, ungekämmt, ein graues Hemd und Jeans trug, barfuß war, als hätte die Ankunft der Polizei ihn im Schlaf überrascht. Wie es aussieht, schläft der Alte in seiner Straßenkleidung, dachte El Cerdo. Einer der Polizisten sah fern. Der andere lehnte rauchend an der Wand. Der Polizist, der mit El Cerdo gekommen war, schaltete den Fernseher aus und forderte seine Kollegen auf, mitzukommen. Der Polizist, der an der Wand lehnte, verlangte eine Erklärung, aber der Beamte, der mit El Cerdo heraufgekommen war, sagte, er solle den Mund halten. Bevor die Polizisten das Zimmer verließen, fragte El Cerdo auf Deutsch, ob man ihm etwas gestohlen habe. Der Alte verneinte. Sie wollten Geld, hatten aber nichts gestohlen.
    »Das ist gut«, sagte El Cerdo, »wir bessern uns, wie es scheint.«
    Dann fragte er die Polizisten, welcher Dienststelle sie angehörten, und ließ sie ziehen. Als die Polizisten fort waren, setzte sich El Cerdo neben den Fernseher und sagte, es tue ihm leid. Der Deutsche stand wortlos vom Bett auf und ging ins Badezimmer. Er war ein Riese, schrieb El Cerdo an Alatorre. Fast zwei Meter. Oder eins fünfundneunzig. Jedenfalls beeindruckend riesig. Als der Alte aus dem Bad kam, bemerkte El Cerdo, dass er jetzt Schuhe trug, und fragte ihn, ob er Lust habe, eine Runde durch DF zu drehen oder etwas trinken zu gehen.
    »Wenn Sie müde sind«, fügte er hinzu, »sagen Sie es ruhig, ich verschwinde sofort.«
    »Meine Maschine fliegt um sieben Uhr früh«, sagte der Alte.
    El Cerdo schaute auf die Uhr, es war nach zwei Uhr; er wusste nicht, was er sagen sollte. Wie Alatorre kannte er das literarische Werk des Alten kaum, seine ins Spanische übersetzten Bücher erschienen alle in Spanien und gelangten mit Verspätung nach Mexiko. Vor drei Jahren, als er einen Verlag leitete und noch nicht zu einem führenden Kulturpolitiker der neuen Regierung aufgestiegen war, hatte er versucht, Die Berliner Unterwelt zu veröffentlichen, aber die Rechte lagen bereits bei einem Verlag in Barcelona. Er fragte sich, wer dem Alten seine Telefonnummer gegeben hatte und wie. Allein dass er sich diese Frage stellte, eine Frage, die er auf keinen Fall zu beantworten gedachte, machte ihn glücklich, erfüllte ihn mit einem Glück, das ihn in gewisser Weise als Mensch und als Schriftsteller rechtfertigte.
    »Wir können gehen«, sagte er, »ich bin so weit.«
    Der Alte zog sich eine Lederjacke über das graue Hemd und folgte ihm. El Cerdo fuhr ihn zur Plaza Garibaldi. Dort sah man kaum noch Menschen, die meisten Touristen waren schon in ihren Hotels, und nur Betrunkene, Nachtschwärmer, Leute auf dem Weg zum Essen und Grüppchen von Mariachis, die sich über das letzte Fußballspiel unterhielten, waren noch unterwegs. Aus den Seitenstraßen des Platzes huschten vereinzelte Schatten, die gelegentlich anhielten und sie taxierten. El Cerdo fasste prüfend nach der Pistole, die er bei sich trug, seit er für die Regierung arbeitete. Sie betraten eine Bar, und El Cerdo bestellte Fleischtacos. Der Alte trank Tequila, er begnügte sich mit einem Bier. Während der Alte aß, dachte El Cerdo über die Wechselfälle des Lebens nach. Wäre er vor nicht einmal zehn Jahren in diese Bar gekommen und hätte sich auf Deutsch mit einer alten Bohnenstange wie dieser unterhalten, wäre bestimmt jemand auf die Idee gekommen, ihn zu beleidigen oder sich aus den fadenscheinigsten

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