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argentinischen Verlag Die grenzenlose Rose übersetzt hatte, änderte sich die Meinung der Kritiker. Sie wollten wissen, wo er Deutsch gelernt hatte, wie er auf das Werk von Archimboldi gestoßen war, welche Bücher er von ihm kannte, was er von ihm hielt. Amalfitano sagte, er habe Deutsch in Chile gelernt, in der Deutschen Schule, die er ab der ersten Klasse besuchte, bis er mit fünfzehn aus Gründen, die nichts zur Sache täten, auf ein öffentliches Gymnasium wechselte. Wenn er sich recht erinnerte, sei er mit zwanzig erstmals mit dem Werk Archimboldis in Berührung gekommen; damals lieh er sich in einer Santiagoer Bibliothek und las auf Deutsch: Die grenzenlose Rose, Die Ledermaske und Flüsse Europas. In der Bibliothek gab es nur diese drei Bücher sowie Bifurcaria bifurcata, das er auch angefangen hatte, aber nicht zu Ende lesen konnte. Dieser öffentlichen Bibliothek war der Besitz eines Deutschen zugutegekommen, der eine Unmenge Bücher in seiner Muttersprache gesammelt und nach seinem Tod seiner Gemeinde im Santiagoer Stadtteil Ñuñoa vermacht hatte.
Selbstverständlich hatte Amalfitano eine gute Meinung von Archimboldi, wenngleich er ihn bei weitem nicht so verehrte wie die drei Kritiker. Amalfitano hielt ihn zum Beispiel für gleich gut wie Günter Grass oder Arno Schmidt. Auf die Frage der Kritiker, ob die Übersetzung seine Idee gewesen sei oder ob der Verlag ihm den Auftrag gegeben habe, sagte Amalfitano, wenn er sich recht erinnere, sei die Idee vom argentinischen Verlag selbst gekommen. In jener Zeit, sagte er, habe ich so viel übersetzt, wie ich konnte, und arbeitete nebenher noch als Korrektor. Seines Wissens sei die Ausgabe ein Raubdruck gewesen, obwohl ihm dieser Gedanke erst viel später gekommen sei und er das nicht beweisen könne.
Als die Kritiker, mit seiner äußeren Erscheinung fast schon versöhnt, ihn fragten, was er 1974 in Argentinien getrieben habe, schaute Amalfitano erst sie an, dann seinen Cocktail Margarita und sagte, als hätte er das bereits x-mal wiederholt, er sei 1974 nach Argentinien gegangen wegen des Militärputschs in Chile, der ihn genötigt habe, den Weg des Exils einzuschlagen. Und dann entschuldigte er sich für die etwas vollmundige Ausdrucksweise. Irgendetwas bleibt immer hängen, sagte er, aber keiner der Kritiker schenkte seinem letzten Satz besondere Beachtung.
»Das Exil muss schrecklich sein«, sagte Norton mitfühlend.
»Ehrlich gesagt«, erwiderte Amalfitano, »sehe ich darin heute eine natürliche Bewegung, etwas, das auf seine Weise dazu beiträgt, das Schicksal, oder was man üblicherweise Schicksal nennt, auszuhebeln.«
»Aber das Exil«, sagte Pelletier, »ist durchsetzt von Unannehmlichkeiten, Sprüngen und Brüchen, die sich ähnlich ständig wiederholen und jedes wichtige Vorhaben eines Menschen torpedieren.«
»Eben darin«, sagte Amalfitano, »ankert die Aufhebung des Schicksals. Ich bitte nochmals um Entschuldigung.«
Am nächsten Morgen trafen sie Amalfitano in der Hotellobby, wo er auf sie wartete. Wäre der chilenische Professor nicht gewesen, hätten sie einander sicher die Alpträume der vergangenen Nacht erzählt, und wer weiß, was dabei herausgekommen wäre. Aber Amalfitano war da, und so setzten sie sich zu viert an den Frühstückstisch und machten Pläne für den Tag. Sie erörterten die verschiedenen Möglichkeiten. Zunächst einmal war klar, dass Archimboldi sich nicht in der Universität vorgestellt hatte. Zumindest nicht bei den Philosophen und Literaturwissenschaftlern. Es gab in Santa Teresa kein deutsches Konsulat, weshalb sich dieser Weg von vornherein erübrigte. Sie fragten Amalfitano, wie viele Hotels es in der Stadt gebe. Das wisse er nicht, sagte er, könne es aber gleich nach dem Frühstück herausfinden.
»Wie das?«, wollte Espinoza wissen.
»Indem ich an der Rezeption danach frage«, sagte Amalfitano. »Dort hat man sicher ein komplettes Verzeichnis aller Hotels und Motels der Umgebung.«
»Bestimmt«, sagten Pelletier und Norton.
Während sie ihr Frühstück beendeten, spekulierten sie erneut über die möglichen Gründe, die Archimboldi veranlasst haben könnten, hierher zu kommen. Amalfitano erfuhr da erst, dass keiner jemals Archimboldi persönlich gesehen hatte. Ohne genau sagen zu können, warum, fand er die Geschichte amüsant und fragte, aus welchem Grund sie ihn finden wollten, wenn doch klar war, dass Archimboldi von niemandem gesehen werden wollte. Weil wir sein Werk erforschen, sagten die
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