Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2666

2666

Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
Vom Netzwerk:
Dieter Hellfeld und seinen unerwarteten Informationen über Archimboldi. Und sogar mit Archimboldi geschahen seltsame Dinge, und mit dem, was Archimboldi erzählte, und auch sie selbst, die sie die Bücher von Archimboldi las, kommentierte und interpretierte, war, wenn auch nur phasenweise, nicht wiederzuerkennen.
    »Hast du darum gebeten, dass das Klo in deinem Zimmer repariert wird?«, fragte Espinoza.
    »Ja, ich habe Bescheid gegeben«, sagte Pelletier. »Aber an der Rezeption hat man mir stattdessen einen Zimmertausch angeboten. Sie wollten mich in den dritten Stock verlegen. Da habe ich ihnen gesagt, ich würde schon klarkommen, ich gedächte mein Zimmer zu behalten, und die Kloschüssel könnten sie nach meiner Abreise reparieren. Ich bleibe lieber in eurer Nähe«, sagte Pelletier mit einem Lächeln.
    »Gut gemacht«, sagte Espinoza.
    »Der Empfangschef sagte, man habe die Toilettenschüssel auswechseln wollen, aber kein passendes Modell gefunden. Ich solle keinen schlechten Eindruck vom Hotel zurückbehalten. Eigentlich ein netter Mensch«, sagte Pelletier.
    Der erste Eindruck, den die drei Kritiker von Amalfitano bekamen, fiel eher negativ aus und passte perfekt zu der Mittelmäßigkeit des Ortes, nur dass der Ort, die ausufernde Stadt in der Wüste, als etwas Typisches angesehen werden konnte, voller Lokalkolorit, ein weiterer Beweis für die oft grässliche Vielfalt der menschlichen Landschaft, während man Amalfitano nur als einen Gestrandeten ansehen konnte, einen nachlässig gekleideten Typen, einen unbedeutenden Professor an einer unbedeutenden Universität, Fußsoldat einer von vornherein verlorenen Schlacht gegen die Barbarei oder, weniger melodramatisch, als den, der er letztlich war, ein melancholischer Philosophieprofessor, auf seinem Fleckchen Weide grasend, dem Rücken einer launischen und kindischen Bestie, die Heidegger kurzerhand verschlungen hätte, wenn ihm das Pech widerfahren wäre, an der Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten zur Welt zu kommen. Espinoza und Pelletier sahen in ihm einen gescheiterten Typen - gescheitert vor allem, weil er in Europa gelebt und gelehrt hatte -, der sich hinter einer harten Schale zu verbergen versuchte, dessen weicher Kern aber sofort ins Auge sprang. Nortons Eindruck dagegen war der von einem tieftraurigen Menschen, mit dem es in Windeseile zu Ende ging und dessen letzter Wunsch es war, ihnen als Führer durch diese Stadt zu dienen.

    An diesem Abend gingen die drei Kritiker relativ zeitig zu Bett. Pelletier träumte von seiner Kloschüssel. Er wurde von einem dumpfen Geräusch geweckt, stand nackt auf und sah, dass jemand im Bad das Licht angemacht hatte. Zuerst dachte er, Norton oder sogar Espinoza sei da, aber schon während er sich dem Bad näherte, wusste er, dass es keiner von beiden sein konnte. Als er die Tür öffnete, war das Bad leer. Am Boden sah er große Blutlachen. An Badewanne und Duschvorhang fanden sich leicht angetrocknete Krusten einer Substanz, die Pelletier zunächst für Schlamm oder Erbrochenes hielt, bei der es sich aber, wie er bald erkannte, um Scheiße handelte. Der Ekel, den die Scheiße ihm verursachte, war bedeutend größer als die Angst, die ihm das Blut einflößte. Beim ersten Brechreiz erwachte er.
    Espinoza träumte von dem Wüstenbild. Im Traum richtete Espinoza sich auf, bis er senkrecht im Bett saß, und konnte wie auf einem über anderthalb mal anderthalb Meter großen Bildschirm die Wüste betrachten, reglos und leuchtend, von einem sonnenhellen Gelb, das den Augen weh tat, konnte die Gestalten zu Pferde sehen, deren Bewegungen - die der Reiter wie die der Pferde - kaum wahrnehmbar waren, als lebten sie in einer anderen Welt als der unseren, mit einer anderen Geschwindigkeit, einer Geschwindigkeit, die Espinoza wie Langsamkeit erschien, obwohl er wusste, dass es dieser Langsamkeit geschuldet war, wenn keiner, der das Gemälde betrachtete, wahnsinnig wurde. Und dann waren da Stimmen. Espinoza hörte sie. Ganz leise Stimmen, anfangs nur Laute, kurze Klagelaute, die wie Meteoriten in die Wüste und in den möblierten Raum des Hotelzimmers und des 'Traums einschlugen. Einige vereinzelte Worte vermochte er sogar zu verstehen. Schnelligkeit, Geschwindigkeit, Eile, Hast. Die Worte bahnten sich einen Weg durch die dünne Luft des Gemäldes, wie virale Wurzeln in totem Fleisch. Unsere Kultur, sagte eine Stimme. Unsere Freiheit. Das Wort Freiheit klang in Espinozas Ohren wie der Peitschenknall in einem leeren

Weitere Kostenlose Bücher