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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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Kritiker. Weil er bald sterben wird und es nicht gerecht ist, dass der größte deutsche Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts stirbt, ohne mit denen sprechen zu können, die seine Romane am genauesten gelesen haben. Weil wir ihn überreden wollen, nach Europa zurückzukehren, sagten sie.
    »Ich dachte«, sagte Amalfitano, »der beste deutsche Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts sei Kafka.«
    »Gut, dann der beste deutsche Nachkriegsschriftsteller oder der beste deutsche Schriftsteller der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts«, sagten die Kritiker.
    »Haben Sie Peter Handke gelesen?«, fragte Amalfitano. »Und Thomas Bernhard?«
    Uff, sagten die Kritiker, und von da an bis zu dem Moment, wo sie die Frühstückstafel aufhoben, fielen sie über Amalfitano her, bis sie aus ihm eine Art Periquillo Sarniento gemacht hatten, gerupft und gevierteilt.
    An der Rezeption bekamen sie das Verzeichnis aller Hotels der Stadt. Amalfitano schlug vor, die Anrufe von der Universität aus zu tätigen, da das Verhältnis zwischen Guerra und den Kritikern bestens zu sein schien oder Guerras Respekt für die Kritiker voller Ehrerbietung und nicht frei von Ehrfurcht, einer Ehrfurcht, die wiederum nicht frei war von Eitelkeit oder Koketterie, obwohl man hinzufügen sollte, dass hinter der Koketterie oder Ehrfurcht eine List lauerte, denn auch wenn Guerras Gewogenheit durch den Wunsch von Rektor Negrete diktiert war, blieb Amalfitano nicht verborgen, dass Guerra die Absicht hegte, den Besuch der drei berühmten Professoren aus Europa für sich zu nutzen, zumal vor dem Hintergrund der Überlegung, dass die Zukunft ein Geheimnis ist und man nie weiß, wann der Weg eine Biegung macht und an welche seltsamen Orte einen die Füße tragen. Doch die Kritiker lehnten ab, das Telefon der Universität zu benutzen, und tätigten die Anrufe auf eigene Rechnung.
    Um Zeit zu sparen, telefonierten Espinoza und Norton von Espinozas Zimmer, Amalfitano und Pelletier vom Zimmer des Franzosen aus. Das Ergebnis nach einer Stunde hätte nicht deprimierender ausfallen können. In keinem der Hotels hatte sich ein Hans Reiter angemeldet. Nach zwei Stunden beschlossen sie, die Anrufe einzustellen und unten in der Bar ein Glas zu trinken. Übrig waren nur noch einige Hotels und Motels in der Umgebung der Stadt. Amalfitano, der sich die Liste noch einmal genau anschaute, sagte, bei den meisten Motels auf der Liste handele es sich um Durchgangsstationen, kaschierte Bordelle, Orte, an denen man sich schwerlich einen deutschen Touristen vorstellen konnte.
    »Wir suchen keinen deutschen Touristen, sondern Archimboldi«, erwiderte Espinoza.
    »Das ist richtig«, sagte Amalfitano und stellte sich Archimboldi tatsächlich in einem Motel vor.
    »Die Frage ist, was Archimboldi in dieser Stadt gewollt hat«, sagte Norton. Nach einiger Diskussion kamen die drei Kritiker zu dem Schluss - und Amalfitano war darin ihrer Meinung -, dass er nur deshalb nach Santa Teresa gekommen sein konnte, um einen Freund zu besuchen oder um Material für einen nächsten Roman zu sammeln oder aus beiden Gründen. Pelletier favorisierte die Möglichkeit mit dem Freund.
    »Ein alter Freund«, mutmaßte er, »also ein Deutscher wie er selbst.« »Ein Deutscher, den er seit vielen Jahren nicht gesehen hat, sagen wir: Seit Ende des Zweiten Weltkriegs«, sagte Espinoza.
    »Ein Wehrmachtskamerad, jemand, der Archimboldi viel bedeutet hat und direkt nach dem Krieg oder vielleicht sogar schon vor Kriegsende verschwunden ist«, sagte Norton.
    »Aber jemand, der weiß, dass Archimboldi Hans Reiter ist«, sagte Espinoza.
    »Nicht unbedingt, möglicherweise hat der Freund keine Ahnung, dass Hans Reiter und Archimboldi ein und dieselbe Person sind, er kennt nur Reiter und weiß, wie er Reiter erreichen kann, und nicht viel mehr«, sagte Norton.
    »Aber das ist so einfach nicht«, sagte Pelletier.
    »Nein, einfach ist es nicht, weil das voraussetzen würde, dass Reiters Adresse sich seit ihrer letzten Begegnung, also sagen wir seit 1945, nicht geändert hat«, sagte Amalfitano.
    »Statistisch gesehen gibt es keinen Deutschen aus der Zeit von 1920, der nicht mindestens einmal in seinem Leben umgezogen ist«, sagte Pelletier.
    »Es kann daher sein, dass nicht der Freund mit ihm in Verbindung getreten ist, sondern dass Archimboldi selbst mit seinem Freund Kontakt aufgenommen hat«, sagte Espinoza.
    »Freund oder Freundin«, sagte Norton.
    »Ich neige eher zu der Annahme, dass es sich um einen

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