2666
Stimmchen sagte, ich bin's. Wer ist da?, fragte Amalfitano. Mach auf, ich bin es, sagte die Stimme. Wer?, sagte Amalfitano. Ohne ihre enorme Zartheit einzubüßen, schien die Stimme über die Befragung verärgert. Ich ich ich ich, sagte sie. Amalfitano schloss die Augen und drückte den Türöffner. Er hörte, wie sich die Seilzüge des Aufzugs in Bewegung setzten, und ging zurück in die Küche. Lola saß immer noch da und schlürfte die letzten Tropfen Kaffee. Ich glaube, es ist für dich, sagte Amalfitano. Lola gab durch nichts zu erkennen, ob sie ihn gehört hatte. Wirst du dich von der Kleinen verabschieden?, sagte Amalfitano. Lola schaute auf und antwortete, dass es besser sei, sich nicht von ihr zu verabschieden. Sie hatte blaue, von dunklen Ringen umgebene Augen. Dann schellte es zweimal an der Haustür, und Amalfitano ging aufmachen. Eine sehr kleine Frau, nicht größer als ein Meter fünfzig, schob sich an ihm vorbei, nachdem sie ihm einen kurzen Blick zugeworfen und einen unverständlichen Gruß gemurmelt hatte, und ging schnurstracks in die Küche, als kennte sie Lolas Angewohnheiten besser als Amalfitano. Als Amalfitano in die Küche zurückkam, starrte er auf den Rucksack, den die Frau neben dem Eisschrank auf den Boden gestellt hatte und der kleiner war als der von Lola, fast ein Miniaturrucksack. Die Frau hieß Inmaculada, aber Lola nannte sie Imma. Amalfitano hatte sie ein paarmal angetroffen, wenn er von der Arbeit kam, und damals hatte ihm die Frau ihren Namen genannt und wie er sie nennen solle. Imma war der Diminutiv von Immaculada im Katalanischen, aber Lolas Freundin war weder Katalanin noch hieß sie Immaculada mit doppeltem m, sondern Inmaculada, und Amalfitano zog es aus phonetischen Gründen vor, sie Inma zu nennen, obwohl er sich jedes Mal, wenn er es tat, eine Rüge von seiner Frau einhandelte, bis er dazu überging, sie überhaupt nicht zu nennen. Er beobachtete sie von der Küchentür aus. Er fühlte sich viel gelassener, als er erwartet hätte. Lola und ihre Freundin starrten beide auf den Resopaltisch, doch entging Amalfitano nicht, dass sie ab und zu aufschauten und Blicke von ihm unbekannter Intensität wechselten. Lola fragte, ob noch jemand Kaffee wolle. Die Frage richtet sich an mich, dachte Amalfitano. Inmaculada bewegte den Kopf von links nach rechts und sagte dann, dafür sei keine Zeit, das Beste wäre, gleich aufzubrechen, da binnen kurzem alle Ausfallstraßen von Barcelona blockiert sein würden. Sie redet, als wäre Barcelona eine mittelalterliche Stadt, dachte Amalfitano. Lola und ihre Freundin standen auf. Amalfitano machte zwei Schritte und öffnete den Kühlschrank, um sich gegen seinen plötzlichen Durst ein Bier zu nehmen. Dazu musste er vorher Immas Rucksack beiseitestellen. Ein Gewicht, als enthielte er nur zwei Blusen und eine zweite schwarze Hose. Sieht aus wie ein Fötus, dachte Amalfitano noch und ließ den Rucksack auf den Boden plumpsen. Dann gab Lola ihm einen Kuss auf die Wange, und sie und ihre Freundin zogen davon.
Eine Woche später erhielt Amalfitano einen in Pamplona abgestempelten Brief von Lola, in dem sie schrieb, die Reise sei bisher reich an angenehmen und unangenehmen Erfahrungen gewesen. Wobei die angenehmen Erfahrungen überwogen. Dagegen ließen sich die unangenehmen Erfahrungen zwar als zweifellos unangenehm einstufen, aber nicht unbedingt als Erfahrungen. Alles, was uns an Unangenehmem zustößt, schrieb Lola, bleibt in unserer Deckung hängen, denn Imma hat das alles schon erlebt. Zwei Tage haben wir in Lérida gearbeitet, schrieb Lola, in einer Autoraststätte, dessen Chef auch Besitzer einer Apfelplantage war. Eine große Plantage, und von den Bäumen hingen bereits die grünen Äpfel. In Kürze würde die Ernte beginnen, und der Besitzer hatte sie gebeten, solange zu bleiben. Imma hatte darüber mit ihm gesprochen, während Lola vor dem Campingzelt, in dem die beiden schliefen und das sie im Schatten einer Pappel aufgeschlagen hatten, der einzigen Pappel, die sie in den Obstgärten gesehen hatte, und neben einer Garage, die niemand mehr benutzte. Kurz darauf kam Imma zurück, wollte sich aber nicht zu dem Handel äußern, den der Rasthofbesitzer ihr vorgeschlagen hatte. Am nächsten Tag waren sie wieder auf der Straße, ohne sich von jemandem verabschiedet zu haben. In Zaragoza schliefen sie bei einer alten Studienfreundin von Imma. Lola war sehr müde und ging früh schlafen, und im Schlaf hörte sie Lachen und dann laute Stimmen und
Weitere Kostenlose Bücher