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2666

2666

Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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auch egal war, damals - ich weiß nicht, ob du dich erinnerst - war alles irgendwie egal. Als der Dichter mit einem Schrei schließlich kam und sich zu seinen drei Freunden umdrehte und sie anschaute, bedauerte ich es, dass ich an dem Tag keinen Eisprung hatte, denn ich hätte zu gern ein Kind von ihm bekommen. Danach stand er auf und ging hinüber zu den Schatten. Einer von ihnen legte ihm eine Hand auf die Schulter. Ein anderer gab ihm etwas. Ich stand auf und ging, ohne sie eines Blickes zu würdigen, ins Bad. Im Wohnzimmer lagen die Gestrandeten der Fete herum. Im Bad fand ich ein Mädchen schlafend in der Badewanne. Ich wusch mir Gesicht und Hände, kämmte mich, und als ich wieder herauskam, war der Philosoph gerade dabei, alle, die noch gehen konnten, rauszuschmeißen. Er wirkte auf mich weder betrunken noch high. Eher frisch, als wäre er gerade aufgestanden und hätte ein großes Glas Orangensaft zum Frühstück getrunken. Ich verließ die Wohnung mit ein paar Freunden, die ich auf dem Fest kennengelernt hatte. Um diese Zeit hatte nur der Drugstore auf den Ramblas geöffnet, und dorthin zogen wir, wobei wir fast kein Wort miteinander wechselten. Im Drugstore traf ich eine Freundin, die ich seit ein paar Jahren kannte und die als Journalistin bei Ajoblanco arbeitete, obwohl die Arbeit dort sie ankotzte. Sie sprach mit mir über die Möglichkeit, nach Madrid zu gehen. Sie fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, die Stadt zu wechseln. Ich zuckte die Schultern. Städte sind fast alle gleich, sagte ich. In Wirklichkeit dachte ich an den Dichter und an das, was wir gerade zusammen gemacht hatten. Ein Schwuler tut so etwas nicht. Alle sagten, er sei schwul, aber ich wusste, dass das nicht stimmte. Dann dachte ich an das Tohuwabohu der Sinne, und mir wurde alles klar. Ich wusste, dass der Dichter vom Wege abgekommen, dass er ein verirrtes Kind war. Und dass ich ihn retten konnte. Ihm ein wenig von dem zurückgeben konnte, was er mir gegeben hatte. Ungefähr einen Monat lang lag ich vor der Wohnung des Philosophen auf der Lauer, in der Hoffnung, ihn eines Tages herauskommen zu sehen und zu bitten, noch einmal mit mir zu schlafen. Eines Abends sah ich nicht den Dichter, sondern den Philosophen. Mir fiel auf, dass mit seinem Gesicht etwas nicht stimmte. Als er näher kam (er erkannte mich nicht), registrierte ich ein blaues Auge und mehrere Quetschungen. Sicher vom Dichter. Manchmal versuchte ich anhand der Lichter zu erraten, in welchem Stock sich die Wohnung befand. Manchmal sah ich Schatten hinter den Vorhängen, manchmal öffnete jemand ein Fenster - eine ältere Frau, ein Mann mit Krawatte, ein Jugendlicher mit länglichem Gesicht - und betrachtete Barcelona in der Dämmerung. Eines Abends stellte ich fest, dass ich nicht die Einzige war, die den Dichter bespitzelte oder ihm auflauerte. Ein Junge von höchstens achtzehn Jahren patrouillierte schweigend auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig. Er hatte mich nicht bemerkt, weil er ein verträumter, unvorsichtiger Junge war. Er setzte sich auf die Terrasse einer Bar und bestellte immer eine Dose Cola, die er in sparsamen Schlucken trank, während er in ein Schulheft schrieb oder in Büchern las, die ich sofort wieder erkannte. Eines Abends, bevor er die Terrasse verließ und eilig davonstürmte, ging ich zu ihm und setzte mich neben ihn. Ich sagte, ich wisse, was er tue. Wer bist du?, fragte er erschrocken. Ich lächelte ihn an und sagte, wir säßen im gleichen Boot. Er sah mich an, wie man jemanden ansieht, der verrückt ist. Täusch dich nicht, sagte ich, ich bin nicht verrückt, ich bin eine Frau im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte. Er lachte. Vielleicht bist du nicht verrückt, aber du siehst so aus. Daraufhin winkte er nach der Rechnung und wollte schon aufstehen, als ich ihm gestand, dass ich ebenfalls nach dem Dichter suchte. Sofort setzte er sich wieder hin, als hätte ich ihm eine Pistole an die Schläfe gesetzt. Ich bestellte mir einen Kamillentee und erzählte ihm meine Geschichte. Er sagte, er schreibe auch Gedichte und wolle, dass der Dichter sie einmal lese. Man merkte gleich, dass er schwul und sehr einsam war. Lass mal sehen, sagte ich und nahm ihm das Heft aus der Hand. Er schrieb nicht schlecht, sein Problem war nur, dass er genauso schrieb wie der Dichter. Diese Sachen kannst du nicht erlebt haben, du bist zu jung, du kannst unmöglich so gelitten haben. Er machte ein Gesicht, als wenn er sagen wollte, es sei ihm gleich, ob ich ihm glaubte oder

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