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2666

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Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
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und dich nicht ansah. ‹
    Da begann ich zu lachen und sagte, genau betrachtet, würde er in meinen Augen niemals böse sein können, auch der Rollstuhl nicht, da er ihm so wichtige Dienste leiste.
    Die restliche Nacht verbrachten wir zusammen. Ich sagte ihm, er solle auf eine Seite rutschen und mir Platz machen, und Morini gehorchte mir stumm.
    ›Warum habe ich erst so spät gemerkt, dass du mich liebst?‹, sagte ich später zu ihm. ›Warum habe ich erst so spät gemerkt, dass ich dich liebe?‹
    ›Das ist meine Schuld‹, sagte Morini im Dunkeln, ›ich bin so ungeschickt. «‹
    Am Morgen schenkte Espinoza dem Empfangspersonal, den Wachleuten und Kellnern einige der Teppiche und Sarapes, die er gehortet hatte. Auch den beiden Frauen, die sein Zimmer in Ordnung hielten, schenkte er Teppiche. Den letzten Sarape, ein sehr schönes Exemplar mit markanten geometrischen Figuren in Rot, Grün und Violett, verpackte er in eine Tüte und trug dem Mann am Empfang auf, sie Pelletier zukommen zu lassen.
    »Ein anonymes Geschenk«, sagte er.
    Der Mann am Empfang zwinkerte ihm zu und versprach, sich darum zu kümmern.
    Als Espinoza auf dem Kunsthandwerksmarkt eintraf, saß Rebeca auf einer Holzbank und las in einer Zeitschrift für mexikanische Popmusik, die neben vielen Fotos Berichte von bekannten Sängern, ihren Hochzeiten, Scheidungen, Tourneen, ihren goldenen und Platinschallplatten, ihren Aufenthalten im Gefängnis und ihrem Sterben im Elend enthielt. Er setzte sich neben sie an den Rand des Bürgersteigs und wusste nicht, ob er sie mit einem Kuss begrüßen sollte oder nicht. Gegenüber gab es einen neuen Stand, an dem Lehmfigürchen verkauft wurden. Von seinem Platz aus konnte Espinoza einige winzige Galgen erkennen und lächelte traurig. Er fragte das Mädchen, wo ihr Bruder wäre, und sie antwortete, er sei wie jeden Morgen zur Schule gegangen.
    Eine runzlige alte Frau, ganz in Weiß gekleidet wie eine Braut, blieb stehen und unterhielt sich mit Rebeca, woraufhin er sich die Zeitschrift nahm, die das Mädchen unter den Tisch auf ihren Proviantkorb gelegt hatte, und darin herumblätterte, bis Rebecas Freundin weiterging. Er machte mehrmals den Versuch, etwas zu sagen, brachte aber nichts heraus. Ihr Schweigen war jedoch nicht unangenehm, verriet weder Groll noch Trauer. Es war nicht dicht, sondern durchsichtig. Nahm fast keinen Platz in Anspruch. Man könnte sich sogar an dieses Schweigen gewöhnen und glücklich sein, dachte Espinoza. Er wusste aber auch, dass er das nie könnte.
    Als er es leid war, herumzusitzen, ging er in eine Bar und bestellte sich am Tresen ein Bier. Um ihn herum saßen und standen nur Männer, und keiner war allein. Espinoza ließ einen fürchterlichen Blick durch die Bar schweifen und sah sofort, dass die Männer nicht nur tranken, sondern auch aßen. Er murmelte das Wort Scheiße und spie auf den Boden, wenige Zentimeter neben seine eigenen Schuhe. Dann trank er noch ein Bier und kehrte mit der halbvollen Flasche zum Stand zurück. Rebeca sah ihn an und lächelte. Espinoza setzte sich neben sie auf den Bürgersteig und sagte, er fliege nach Hause. Das Mädchen sagte nichts.
    »Ich komme nach Santa 'Teresa zurück«, sagte er, »schon in einem knappen Jahr, das schwöre ich.«
    »Schwöre nicht«, sagte das Mädchen mit nachsichtigem Lächeln. »Ich komme wieder«, sagte Espinoza und leerte die Flasche bis auf den letzten Tropfen. »Und vielleicht heiraten wir dann, und ich nehme dich mit nach Madrid.«
    Es klang, als hätte das Mädchen gesagt: Das wäre schön, aber Espinoza hatte sie nicht verstanden.
    »Was? Was?« sagte er.
    Rebeca schwieg.
    Als er abends zurückkam, fand er Pelletier lesend und Whisky trinkend am Schwimmbeckenrand. Er setzte sich in den Liegestuhl neben ihm und fragte nach seinen weiteren Plänen. Pelletier lächelte und legte das Buch auf den Tisch.
    »Ich habe in meinem Zimmer dein Geschenk gefunden«, sagte er, »es passt und hat durchaus Charme.«
    »Ach, der Sarape«, sagte Espinoza und ließ sich in den Liegestuhl zurückfallen.
    Am Himmel sah man viele Sterne. Das blaugrüne Wasser des Beckens tanzte in einem Reigen von Lichtreflexen über die Tische und die Kübel mit Blumen und Kakteen bis hinüber zu einer cremefarbenen Backsteinmauer, hinter der ein Tennisplatz und einige Saunen lagen, die er erfolgreich gemieden hatte. Ab und zu hörten sie Ballgeräusche und gedämpfte Stimmen, die das Spiel kommentierten.
    Pelletier erhob sich und sagte: Gehen wir. Er

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