27 - Im Lande des Mahdi I
noch nicht, heute noch nicht! Man stirbt doch nicht so Hals über Kopf, sondern man muß mit Bedacht und Überlegung sterben.“
„Das heißt, man muß sich mit Genuß und möglichstem Behagen durchlöchern lassen. O Selim, wie habe ich mich in dir getäuscht! Du nennst dich einen Helden und willst doch nicht von einer schnellen Kugel fallen, sondern langsam hinwelken und absterben wie ein krankes Kraut, welches nach und nach verfault. Ist das Heldentum?“
„Scherze nicht; mir ist es sehr ernst bei dieser Sache! Ich fürchte mich vor keiner Kugel; ich will erschossen sein, unbedingt erschossen sein, aber nicht, wenn es einem Feind gefällt, sondern wenn es mir paßt. Es wäre doch jammerschade um mein schönes Heldentum, wenn es so voreilig und vorzeitig vernichtet würde. Laufe nur, ich gehe mit; ich trete mit Verwegenheit in die Stapfen deiner Füße. Du kannst dich auf mich verlassen; ich werde dir den Rücken nicht zeigen. Nimm deine Sinne und Gedanken zusammen, denn das nächste Haus ist es, in welchem der Gärtner wohnt, bei dem sich mein Freund befindet!“
Das ‚Haus‘ war schon mehr eine nach vorn fensterlose Baracke, schmal und niedrig aus schwarzem Nilschlamm aufgeführt. Die Wand hatte verschiedene Risse, und die Tür hing schief in den ledernen Angeln. Sie war nicht verriegelt; ich stieß sie auf und trat in einen engen, finsteren Hausgang, in welchem ich von allen möglichen Düften, nur von keinem Wohlgeruch umgeben war. Er führte auf einen kleinen Hofplatz, welcher auf allen vier Seiten von anscheinenden Schlammhaufen umgeben wurde, die zwar menschliche Wohnungen enthalten sollten, eigentlich aber kaum Ziegen- oder Kaninchenställe genannt werden konnten.
In der Mitte dieses Hofes saßen auf einem Schutthaufen vier Männer, drei ältere und ein jüngerer. In dem letzteren erkannte ich sofort den Taschenspieler. Er mich erblicken, aufspringen und in einem mir gegenüberliegenden Loch, welches eine Tür vorstellen sollte, verschwinden, das war eins. Ich wollte ihm augenblicklich nach; aber die drei Alten hatten sich auch schnell erhoben und stellten sich mir in den Weg.
„Wer bist du? Was willst du hier?“ fragte mich der eine, welcher wohl der Hausherr war.
„Wer ich bin, wird dir mein Begleiter sagen, den du ja kennst, weil er bei dir gewohnt hat“, antwortete ich, indem ich mich umdrehte, um auf Selim zu deuten. Er war aber unsichtbar, er hatte es vorgezogen, mir nicht zu folgen, was ich in der Dunkelheit des Hausganges nicht bemerkt hatte. Dann fuhr ich fort: „Ich bin ein Bekannter von Selim, welcher bis vorgestern dein Gastfreund war. Er steht draußen vor der Tür. Rufe ihn herein! Ich habe unterdessen mit dem Gaukler zu sprechen.“
„Hier gibt es keinen Gaukler!“
„O doch! Er hat soeben bei euch gesessen und sich, als er mich erblickte, schnell entfernt, um mir, seinem besten Freund, da drin einen festlichen Empfang zu bereiten. Laß mich zu ihm, damit ich mich an der Wonne seines Angesichtes labe!“
Ich schob den Alten zur Seite und schritt rasch nach dem Loch. Ich hielt dieses Unternehmen gar nicht für gefährlich, und der Erfolg rechtfertigte diese Ansicht, denn als ich mich durch den Eingang geschoben hatte, war der Taschenspieler nicht zu sehen. Ich befand mich in einem so niedrigen Raum, daß mein Kopf beinahe an die Decke desselben stieß. Er hatte die Länge der Breite des Hofes und hing mit keinem anderen Raum zusammen. Es führte keine Treppe nach oben. Dem Loch, durch welches ich eingetreten war, lag ein zweites gegenüber, durch welches der Schelm sich entfernt haben mußte. Ich ging da hinaus und stand nun im ‚Garten‘ des Gärtners. In demselben war kein Baum, kein Strauch zu sehen. Acht kleine Beete, welche nur mit Zwiebeln und Knoblauch bepflanzt waren, nahmen die ganze Länge und Breite dieses ‚Gartens‘ ein, von dessen Ertrag der Besitzer sein trauriges Leben zu fristen hatte. Es gab da nicht den kleinsten Winkel, in welchem der Gaukler versteckt sein konnte, und doch war er nicht zu sehen. Als ich den Boden untersuchte, fand ich seine unvorsichtigen Fußstapfen in der weichen Erde der lockern Beete; er war gerade über dieselben hinweggeeilt, um über die sehr niedrige Mauer in den benachbarten Hof und von da weiter zu entkommen. Es fiel mir nicht ein, ihm zu folgen. Ich hatte gar nicht beabsichtigt, ihn zu ergreifen, sondern ich wollte ihn nur ins Bockshorn jagen, indem ich ihm zeigte, daß ich seine Anwesenheit kenne und mich nicht vor ihm
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