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27 - Im Lande des Mahdi I

27 - Im Lande des Mahdi I

Titel: 27 - Im Lande des Mahdi I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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gegebenenfalls schnell ausreißen zu können.“
    „Ausreißen? Nimm dieses Wort sofort zurück! Ich bin noch niemals ausgerissen und werde es auch niemals tun. Das Wort Flucht kenne ich nicht. Allah hat mir gleich bei meiner Geburt eine so rasende Wut verliehen, daß ich mich mit allen Kräften zwingen muß, nicht täglich fünf oder gar zehn Menschen umzubringen.“
    „Warum aber bringst du diese Selbstbeherrschung stets dann in Anwendung, wenn der Mut am Platz wäre? Und warum bist du nur dann mutig, wenn für dich keine Gefahr vorhanden ist?“
    „Frage doch nicht so, Effendi! Du bist noch zu jung, um die Lagen des Lebens und die Verhältnisse des Augenblickes richtig beurteilen zu können. Ich aber erkenne die Gegenwart und blicke in die Zukunft, und wenn ich da in weiser Zurückhaltung meine Tapferkeit zügle, so muß man, anstatt mich zu tadeln, es mir Dank wissen. Es ist schade, jammerschade, daß deine Schwachheit den Gaukler entkommen ließ.“
    Da wir schnell gegangen waren, hatten wir während dieses Wortwechsels den Palast erreicht, in dessen Hof wir uns trennten. Er begab sich zu dem Haushofmeister, und ich ging in meine Wohnung, aus welcher ich bald zum Abendessen abgeholt wurde, an dem auch der Sohn des Stallmeisters teilnahm. Er hatte das Tuch abgenommen, denn die kleine Schmarre fing bereits an, zu verharschen, was mir nicht wenig Lob einbrachte.
    Nach dem Essen kam der Haushofmeister, welcher Selim mitbrachte. Dazu waren einige Bekannte geladen, welche den fremden Effendi kennenlernen wollten. Ich mußte ihnen hundert und tausend Fragen beantworten, und da ich ihnen, wie ganz selbstverständlich, keine Antwort schuldig blieb, so wuchs ihre Hochachtung von Minute zu Minute, und ich wurde schließlich trotz meines Sträubens für den weisesten und gelehrtesten Mann aller Länder und Völker erklärt. Die meisten ihrer Fragen hätte ein aufgeweckter deutscher Schulknabe mit Leichtigkeit beantworten können; ich hatte also die mir widerfahrene Ehre nicht im mindesten verdient. Als sie aufbrachen und sich von mir verabschiedeten, reichte mir auch Selim die Hand. Er war sonst gar nicht zu Wort gekommen und schien auf das Lob, welches mir geworden war, nicht wenig neidisch zu sein. Er sagte, so daß alle es hörten:
    „Effendi, du bist in vielen Ländern gewesen und hast dir da ganz schöne Erfahrungen gesammelt. Wenn ich einmal Zeit habe, werde ich dir sagen, welche Völker den Glanz meiner Gegenwart genossen haben. Ich kenne alle Städte und Dörfer der Erde und bin gerne bereit, deine Kenntnisse durch die meinigen zu vervollständigen, damit du, wenn du nach Hause zurückkehrst, bei den Deinen den Eindruck eines Mannes machst, in dessen Wissenschaften wenigstens keine allzugroßen Lücken vorhanden sind. Allah schenke dir eine ruhige Nacht!“
    Nachdem er diese Worte gesprochen hatte, stieg er in der Haltung eines Mannes, welcher einem andern eine ganz unverdiente Gnade erwiesen hat, davon. Die andern folgten ihm lächelnd; sie wußten ebensogut wie ich, was sie von ihm zu denken hatten.
    Ich schlief nach den Anstrengungen des Tages so gut, daß ich erst spät erwachte. Vielleicht hätte ich noch länger geschlafen, wenn ich nicht von lauten Stimmen geweckt worden wäre. Die Sprecher standen oder saßen draußen im Hof vor oder vielmehr unter der vergitterten Öffnung, welche meinem Zimmer als Fenster diente. Sie waren von dem Gegenstand ihres Gespräches so angeregt, daß sie viel lauter redeten, als es an dem Ort, an welchem sie sich befanden, eigentlich geboten gewesen wäre, denn der Gegenstand war, wie ich sehr bald hörte, kein anderer, als ich selbst. Ich vernahm die Stimme des Stallmeisters:
    „Ich sage dir, daß es auf der ganzen Erde und im ganzen Leben keine Frage gibt, die er nicht beantworten kann. In seinem Kopf vereinigt sich die Gesamtheit aller Wissenschaften. Aber das ist noch nicht alles. Er scheint auch ein großer Krieger zu sein.“
    „Wirklich?“ fragte eine andere Stimme, welche ich auch schon gehört hatte, ohne aber jetzt sagen zu können, wer der Sprecher sei.
    „Ja, wirklich! Er selbst hat es zwar nicht von sich behauptet, aber man muß es aus dem, was er gesagt hat, schließen.“
    Darauf folgte die Erzählung des vorgestrigen Abenteuers, durch welche der Stallmeister beweisen wollte, daß ich ein furchtloser und geistesgegenwärtiger Mann sei. Daran schloß sich ein Bericht meiner letzten Erlebnisse in Kairo und Gizeh, dem der Erzähler die Bemerkung

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