27 - Im Lande des Mahdi I
du?“
„Kumra“, antwortete sie.
Dieser türkische Name bedeutet Turteltaube. Sie hatte ihn mit einer tiefen Altstimme ausgesprochen, was mich zu der zweiten Frage veranlaßte:
„Die Schwester Murad Nassyrs?“
„Ja, Effendi.“
„Wußtest du, daß ich kommen würde?“
„Mein Bruder sagte es mir.“
„Bist du wieder krank? Wünschest du, eine Arznei zu haben?“
„Nein. Du hast den Glanz meines Hauptes wieder hergestellt, und weiter fehlt mir nichts.“
„So sage mir, weshalb du mich sehen wolltest!“
„Wolltest? Ich sollte dich sehen. Mein Bruder wünschte es.“
„Nun, so sieh mich einmal an, aber so genau wie möglich!“
Ich stellte mich nahe vor sie hin und drehte mich schnell dreimal um meine eigene Achse. Es flog ein fröhliches Lächeln über ihr Gesichtchen, als sie sagte:
„O Effendi, ich habe dich ja schon so oft gesehen; ich wollte sagen, daß du mich sehen solltest, nicht ich dich.“
„Ah! Warum?“
„Mein Bruder wird es dir sagen.“
„So darf ich wohl fragen, ob die gegenwärtige Audienz zu Ende ist?“
„Ja, sie ist beendet. Er wird dich erwarten.“
Ich verbeugte mich auf orientalische Weise und trat wieder hinaus. Da stand Murad Nassyr, nahm mich beim Arm und führte mich wieder in seine Stube hinüber. Wir setzten uns wie vorhin nebeneinander, brannten unsere Pfeifen an, und dann entfuhr seinen Lippen das fragende Wörtchen:
„Nun –“
„Was –?“ fragte ich zurück, da mir nichts Besseres einfiel.
„Sahst du sie in all ihrer Schönheit und Lieblichkeit?“
Ich dachte an das Beierfelder Mäuschen und antwortete, leider vollständig gegen meine Überzeugung:
„Wunderbar!“
„Nicht wahr, sie ist herrlich?“
„Wie die Morgenröte!“
„Ein wahrer Sonnenstrahl! Noch kein unberufenes Auge hat ihr Angesicht geschaut. Du bist außer ihrem Bräutigam, welchem ich sie zuführe, der einzige, welchem eine solche Gnade zuteil wird.“
„Warum gerade mir diese Gnade?“
„Weil sie eine Schwester hat.“
„Ah – sie – hat eine –?“
„Ja, eine Schwester, welche um ein Jahr jünger ist und ganz dieselben Züge besitzt, das schöne Näschen, die funkelnden Augen, alles, alles ist genau dasselbe. Hörst du, was ich sage?“
Er bemerkte jedenfalls, daß ich etwas nachdenklicher oder vielmehr, daß mein Gesicht bedeutend länger geworden war.
„Ich höre es“, antwortete ich.
„Und verstehst du es auch?“
„Deine Güte ist heute so unendlich groß, daß ich sie weder verstehen noch begreifen kann.“
„Das höre ich nicht gern. Es fällt mir nicht leicht, dir das zu sagen, was du nicht begreifst.“
„So sage es nicht. Du brauchst dir keine Schmerzen zu verursachen.“
„Aber du sollst und mußt es wissen, und wenn du es nicht errätst, so muß ich es dir doch sagen. Ich teilte dir bereits mit, daß ich dich an mich zu fesseln beabsichtige. Weißt du, daß meine Schwestern reich sind?“
„So ist Allah gegen dich freundlicher gewesen als gegen mich. Ich habe keine reichen Schwestern.“
„Die brauchst du auch nicht, da du eine sehr reiche Frau haben wirst.“
„Freund, das ist mir bisher unbekannt gewesen; habe ich doch noch nicht daran gedacht, mir ein Weib zu nehmen.“
„Auch das ist nicht notwendig. Du brauchst es dir nicht zu nehmen, denn du bekommst es von mir.“
„Behalte es, behalte es! Meine aufrichtige Freundschaft für dich verbietet mir, dich zu berauben.“
„Du beraubst mich nicht, denn ich gebe dir nicht eine von meinen Frauen, sondern meine jüngere Schwester.“
O weh! In was für eine Beißzange war ich da geraten! Ich fühlte es förmlich, wie er sie fester und fester zusammendrückte. Wie konnte ich mich befreien? Er handelte gegen alle orientalische Gewohnheit und Tradition, ob aus Freundschaft oder aus Eigennutz, das blieb sich gleich. Eine Abweisung war eine großartige Beleidigung und mußte ihn mir zum Todfeind machen. Wäre dieser Unglückselige doch nicht auf diesen Gedanken gekommen! Er konnte die jüngere Schwester, meinetwegen auch die ältere und alle eventuellen übrigen dazu dem Großsultan zum Geburtstag schenken! Und dabei ließ er mich nicht aus den Augen, sondern er hielt den Blick unausgesetzt auf mein Gesicht gerichtet, um aus demselben meine Gedanken zu erraten. Als ich aber gar nichts tat und sagte, fragte er:
„Darf ich deine Meinung hören?“
„Meine Meinung ist, daß man mit so ernsten und wichtigen Dingen nicht scherzen soll.“
„Wer sagt dir, daß ich scherze?
Weitere Kostenlose Bücher