27 - Im Lande des Mahdi I
Es mochte gegen zehn Uhr sein, als ich drüben eine Bewegung wahrnahm. Ich sah helle Gestalten an dem dunklen Hintergrund erscheinen und vorübergleiten. Das waren die weißen Haïks der Sklavenjäger. Ich stieg also in das Versteck hinab, meldete dem Lieutenant die Ankunft der Erwarteten, empfahl ihm große Stille und Vorsicht, ließ den beiden Gefangenen den Mund verbinden, damit sie die Sklavenkarawane nicht durch laute Rufe warnen konnten, und stieg dann die Felsenstufen hinab, um noch vor Ibn Asl auf meinem Lauscherposten zu sein.
Der Mond konnte nicht in die Tiefe des Wadi gelangen, und der Schein der Sterne war zu schwach, das hier herrschende Dunkel zu durchdringen. Meinen hellen Haïk hatte ich natürlich zurückgelassen; ich konnte nicht gesehen werden.
Da klang es vom jenseitigen Ufer wie Schwalbengezwitscher herüber, welches zuweilen von einem tieferen Ton unterbrochen wurde. Das Gezwitscher waren die hellen, fernen Stimmen der Sklavinnen, und der zuweilen dreinklingende Baß war die kommandierende Stimme eines Führers, welcher die Richtung des abschüssigen Pfades angab.
Die Stimmen kamen näher; die Karawane erreichte die Tiefe des Wadi und wandte sich dann ganz genau dem Punkt zu, an welchem das Wasserloch lag. Ich sah die Haïks der Reiter und die hellen Zeltdächer der Frauensänften sich bewegen; alles andere blieb in dem tiefen Dunkel unsichtbar. Nun erklang die tiefe Stimme des Führers:
„Halt! Danket Allah und dem Propheten, denn wir sind glücklich bei dem Wasser der Erquickung angekommen!“
Nun war es, als ob mehrere hundert Stimmen antworteten. Männer riefen, schrien oder fluchten; Frauenstimmen schwirrten wirr durcheinander; Kamele blökten und brummten. Da wurde es hell; zwei Fackeln brannten, und nun konnte ich sehen, was sechs Ellen unter mir vorging.
Das war wirklich eine ansehnliche Karawane. Es wurden mehrere Palmfaserfackeln angebrannt, und beim Schein derselben zählte ich fünfzehn Lastkamele, welche Tachterwahns trugen. Die Formen dieser Frauensänften sind sehr verschieden, aber stets phantastisch, ja grotesk; am seltensten nehmen sie sich natürlich im Licht des Feuers oder wie hier der Fackeln aus. Außer diesen Sänftenkamelen gab es noch andere Lasttiere, welche die Wasserschläuche, Vorräte und Zelte trugen. Reitkamele gab es wohl fünfzig; ich konnte sie nicht sofort und genau zählen.
Das war wohl eine Viertelstunde lang ein Wirrwarr, der kaum zu lösen schien; dann kam Ordnung in die Menge. Es wurden die Frauenzelte aufgeschlagen, welche Arbeit die Sklavinnen selbst verrichteten; die Männer nahmen den Kamelen ihre Lasten ab, und einige kamen mit einer Fackel nach der Stelle des Brunnens, um die Bedeckung desselben zu entfernen.
Mir war ganz eigentümlich zumute. Ich hatte den Orient kennengelernt, aber doch noch kein so ganz und gar fremdartiges Bild vor Augen gehabt wie dasjenige, welches sich da unter mir entrollte. Dabei wirkte natürlich am meisten das Bewußtsein, daß die gegenwärtige Szene sich sehr bald in eine blutige verwandeln werde.
Die Anordnung des Lagers war leicht zu erkennen. Ich befand mich gerade über dem Brunnen. Rechts von demselben breiteten die Männer ihre Decken und Tücher aus; links erhoben sich die Frauenzelte; hinter diesen lagen die Pack- und Reitsättel mit den Lasten, und weiterhin wurden sämtliche Kamele gezwungen, sich in das scharfe Steingeröll zu legen. Dieser Plan war ganz und gar nicht geeignet, die Ansicht zu bekräftigen, welche ich bisher über den berühmten oder vielmehr berüchtigten Ibn Asl ed Dschasuhr gehegt hatte. Ein solcher Mann muß vor allen Dingen um- und vorsichtig sein; dieses Lager aber war noch leichtsinniger als das Nest einer Amsel angelegt. Jedenfalls war man allzu fest der Überzeugung, daß die weite Wüste außer der Karawane keinen Menschen berge.
Unter mir wurde das Loch aufgegraben. Die dabei beschäftigten Leute arbeiteten mit den Händen. Bei ihnen stand ein langer, sonnenverbrannter und schwarzbärtiger Kerl, welcher ihnen zuschaute und zuweilen nach rechts oder links einen lauten, kurzen Befehl hinüberrief. Dieser Mann war also der Anführer, Ibn Asl, der Sklavenjäger. Er hatte nicht die mindeste Ähnlichkeit mit seinem Vater, dem scheinbar ehrwürdigen und sehr heiligen Fakir Abd Asl.
Jetzt waren die Brunnengräber bis an die Steinplatte gelangt; sie hoben sie weg, und der Anführer ergriff die Fackel und kniete nieder, um hinabzuleuchten. Er stieß einen mehr als kräftigen
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