27 - Im Lande des Mahdi I
nicht etwa, wie die Höflichkeit es erfordert hätte, zu mir nieder, sondern er stellte sich vor mich hin, ließ einen gehässigen Blick über mich gleiten und sagte:
„Also der Raïs Effendina ist dein Freund. Wer ihn hört, sollte glauben, er sei der Vizekönig. Seit wann kennst du ihn?“
„Seit kurzem“, antwortete ich bereitwillig und der Wahrheit gemäß.
„Und da bringt er dich hierher, in den Palast des Pascha? Du stammst aus Germanistan. Bist du ein Moslem?“
„Nein. Ich bin ein Christ.“
„Allah, Allah! Ein Christ bist du, und ich habe dir das Zimmer gegeben, an dessen Wänden die goldenen Sprüche des Koran prangen! Welch eine Sünde habe ich begangen! Du wirst diesen Raum sofort verlassen und mir nach einem andern folgen, wo deine Gegenwart nicht die Heiligkeit unsere Glaubens beleidigen kann.“
„Ja, ich werde dies Zimmer verlassen, aber nicht, um von dir ein anderes angewiesen zu bekommen. Du selbst bist es, der den Islam schändet, denn dieser gebietet, den Gast zu ehren, und du handelst gegen diesen Befehl. Ich werde einen Diener senden, um meine Sachen hier abzuholen. Für den Kaffee und den Tabak, welchen ich bei dir genossen habe, magst du dieses Bakschisch nehmen.“
Ich legte die Pfeife weg, stand auf, gab ihm ein nach dortigen Verhältnissen sehr reichliches Trinkgeld und verließ, ohne daß er mich daran zu hindern suchte, die Stube. Als ich auf den Hof trat, hörte ich jammernde Töne. Es wurde links eine Tür geöffnet, aus welcher zwei Diener einen jungen Mann getragen brachten, welcher aus einer Stirnwunde blutete. Einige andere Personen folgten, unter ihnen eine verschleierte Frau, welche rief, daß man schnell einen Hekim, einen Arzt, holen solle. Als die Gruppe an mir vorüber wollte, fragte ich, was mit dem Verwundeten geschehen sei. Ein vielleicht sechzig Jahre alter Mann, welcher sehr gut gekleidet war, antwortete mir:
„Das Pferd hat ihn gegen die Mauer geworfen. Nun flieht ihm das Leben aus der Stirn. Lauft, lauft, und holt einen Haggahm herbei! Vielleicht ist noch Rettung möglich.“
Aber in der Verwirrung kam es keinem bei, diesem Gebot Folge zu leisten. Der Mann wollte den Trägern nach, welche weitergeschritten waren. Ich ergriff seinen Arm und sagte:
„Vielleicht ist es nicht nötig, einen Wundarzt zu holen. Ich will den Verwundeten untersuchen.“
Da ergriff der Alte meine beiden Hände und fragte schnell:
„So bist du selbst ein Wundarzt? Komm, komm, beeile dich! Wenn du meinen Sohn rettest, werde ich dir zehnmal mehr zahlen, als du verlangst.“
Er zog mich mit sich fort, nach rechts, wo die Träger inzwischen in einer anderen Tür verschwunden waren. Er war der Vater des Verunglückten. Die Tür führte in ein Gemach, welches jedenfalls als Besuchszimmer benutzt wurde. Von hier aus führte mich der Mann in eine Nebenstube, in welcher man den Verletzten auf einen Diwan gelegt hatte. Die Frau kniete jammernd vor ihm. Der Vater zog sie empor und teilte ihr mit:
„Hier ist ein Wundarzt. Sei still, Weib, und laß ihn zu unserem Sohn! Vielleicht ist Allah gnädig und gibt der Freude und Stütze unseres Alters das schon entflohene Leben zurück.“
Die Frau war also die Mutter des Verunglückten.
„Vielleicht gibt's Allah zurück“, wiederholten die Träger, indem sie die Hände zusammenschlugen.
Ich kniete zu dem jungen Mann nieder und untersuchte seine Wunde. Sie war nicht gefährlich, und wenn keine andere Verletzung vorlag, so war die Sache gar nicht des Jammerns wert. Er war besinnungslos. Ich hatte ein Fläschchen mit Salmiakgeist bei mir, das gewöhnliche Mittel gegen Insektenstiche, denen man im Süden stets ausgesetzt ist; ich öffnete es und hielt es ihm an die Nase. Die Wirkung ließ sich bald sehen und auch hören; er bewegte sich, nieste und öffnete die Augen. Sofort hatte seine Mutter ihn beim Kopf; sie weinte laut auf vor Entzücken. Sein Vater aber faltete die Hände und rief:
„Allah sei Dank! Der Tod ist entflohen, und das Leben kehrt zurück.“
„Es kehrt zurück. Allah l' Allah!“ wiederholten die andern.
Ich bat den Alten, sein Weib wegzunehmen, da sie mich hinderte, und untersuchte nun den Körper des Sohnes. Er hatte nichts gebrochen; aber der Kopf brummte ihm noch gewaltig. Ich forderte Stoff zum Verbinden, welcher schnell gebracht wurde. Die kleine Schmarre wurde gewaschen, die Stirn mit einem Tuch umwunden, und dann erklärte ich, daß der Kranke nichts als der Ruhe bedürfe und morgen vollständig wohl sein
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