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27 - Im Lande des Mahdi I

27 - Im Lande des Mahdi I

Titel: 27 - Im Lande des Mahdi I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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daß man ihn nicht richtig zu behandeln verstand. Selbst der feurigste Araberhengst ist, wenn man ihn zu nehmen weiß, fromm wie ein Kind. Warum sollte gerade dieser hier eine Ausnahme machen!
    Der Stallmeister führte mich durch das Nebengemach in einen Gang, welcher durch eine Tür, die jetzt verriegelt war, in einen größeren Hof mündete. Als er den Riegel zurückgeschoben und die Tür leise und vorsichtig ein wenig geöffnet hatte, konnte ich den Hof überblicken. Er war mit Sand bestreut, und zahlreiche Hufspuren bewiesen, daß hier Pferde zugeritten wurden oder sich da im Freien tummeln durften. Jetzt war nur ein einziges zu sehen, der Grauschimmelhengst. Er stand im Schatten der Mauer, an welcher er sich behaglich rieb. Mein Herz wollte bei seinem Anblick höher schlagen. Ja, das war ein echter, ein Vollblüter Araber! Der kurze, feine, aber sehnige und elastische Bau, der kleine schöne Kopf mit den großen, feurigen Augen, die zierlichen und doch kräftigen Glieder, der schlanke, in die Höhe strebende Hals, der hoch angesetzte und prächtig getragene Schweif, die weiten, rötlichen Nüstern und eine leichte Mähne mit jenen zwei Wirbeln, welche bei den Beduinen als Zeichen des Mutes und der Ausdauer gelten. Es war für den Kenner ein Anblick, welcher das Verlangen erregte, sofort aufzusteigen und hinaus in die unendliche Wüste zu jagen.
    Der Hengst trug den Sattel, aber er rieb sich nicht an der Mauer, um denselben abzuscheuern; er war also gewöhnt, unter dem Sattel zu gehen. Seine Haltung war so ruhig, so fromm, daß man der Erzählung des Stallmeisters keinen Glauben hätte schenken mögen.
    „Nun?“ fragte dieser. „Wie gefällt er dir? Du bist zwar kein Kenner, aber dennoch wirst du zugeben, daß du noch kein solches Tier gesehen hast.“
    „Es ist Radschi pack“, antwortete ich kurz.
    Diesen Ausdruck hatte er wohl nicht erwartet, denn er blickte mich verwundert an und meinte:
    „Was kannst du vom Stammbaum wissen! Du wirst dies Wort einmal gehört und es dir gemerkt haben. Ich sage dir, daß meine Augen noch nie ein solches Pferd erblickten.“
    „Ich habe schon schönere gesehen. Übrigens bin ich auch der Ansicht, daß dieser Schimmel ein sehr frommes Pferd ist.“
    „Das eben ist grundfalsch. Sieh nur das Feuer seiner Augen! Er dünkt sich allein und unbeachtet. Ich will einmal hinaustreten; dann wirst du gleich sehen, wie sehr du dich irrtest.“
    Er öffnete die Tür vollends und trat in den Hof hinaus. Der Hengst erblickte ihn, stieg sofort vorn in die Höhe, kam herbeigaloppiert und drehte sich um, um mit den Hinterhufen nach ihm auszuschlagen. Der Stallmeister wäre getroffen worden, wenn er sich nicht schnell in den Gang zurückgezogen und die Tür zugemacht hätte.
    „Siehst du den Teufel!“ sagte er. „Jedes andere Pferd wäre scheu im Hof herumgerannt; dieser Sohn der Hölle aber kommt direkt auf mich zu, um mich zu schlagen.“
    „Das ist ein Beweis seines echten Blutes. Er hat Verständnis und Gedächtnis. Ihr habt ihn jedenfalls wiederholt beleidigt, und nun ist er widerspenstig und halsstarrig geworden. Es kommt vor, daß ein gewöhnlicher Karrengaul seinen Herrn, der ihn fortgesetzt hart behandelt hat, mit den Hufen und Zähnen tötet. Bei einem so edlen Rosse, wie dieser Schimmel ist, bedarf es gar keines so bedeutenden Anlasses, um es unversöhnlich zu erzürnen. Ihr habt es falsch, grundfalsch behandelt.“
    Der Blick, welchen der Stallmeister jetzt auf mich warf, war wirklich köstlich. So mag ein Professor seine Quartaner ansehen, wenn es diesen einfallen sollte, ihn über die Art und Weise, wie man Kometen entdeckt, zu belehren. Er brach in ein helles Gelächter aus und rief:
    „Falsch behandelt? Wie meinst denn du, daß Pferde behandelt werden müssen?“
    „Als Freunde, aber nicht als Sklaven ihrer Reiter. Das Roß ist das edelste Tier, es hat mehr Charakter als der Hund und der Elefant. Läßt es sich zwingen, so taugt es nichts, denn es hat auf seinen Adel verzichtet und ist eine gemeine, ehrlose Kreatur geworden. Ein edles Pferd opfert sich auf; es sieht den sichern Tod vor Augen und sprengt ihm doch entgegen, um seinen Reiter zu retten. Es hungert und dürstet mit seinem Herrn; es freut sich und grämt sich mit ihm, könnte man fast sagen, wenn das Tier menschlicher Regungen fähig wäre. Es wacht für ihn, und wenn es eine Gefahr wittert, so zeigt es ihm dieselbe an. Bete einem edlen Rosse seine Sure in das Ohr, rufe das Wort des ‚Zeichens‘ aus, und

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