27 - Im Lande des Mahdi I
früheres Nachdenken zurück, und mir ging es nicht viel anders. Ich sann über den Grund des Vertrauens nach, welches er mir bewies. Ich hatte doch ganz und gar nichts an mir, was ihn bewegen konnte, sein Geheimnis zu offenbaren. Auch konnte ich ihm nicht den geringsten Vorteil dafür bieten. Ich kam auf den Gedanken, daß er eine ganz besondere Absicht hegen müsse, eine egoistische, vielleicht gar für mich schlimme Absicht. Aber warum? Ich hatte ihm ja nichts getan! Welchen Grund konnte er haben, mir zu schaden? Ich ließ diesen Gedanken sehr bald wieder fallen; er hatte sich ja ganz freundlich zu mir verhalten, und sein ehrwürdiges Gesicht hatte nicht einen einzigen Zug, welcher auf Hinterlist und Heimtücke schließen ließ.
Als wir in dem Vorort von Siut landeten, verabschiedete er sich mit einem kurzen Gruß von uns und war bald hinter den Gärten verschwunden. Wir aber wanderten nach dem Palast, wo das Mittagsmahl auf uns wartete. Ich wäre gern noch einmal durch die Stadt gegangen, mußte aber daheim bleiben, um den Fakir zu erwarten. Er kam kurze Zeit nach dem Asr, dem Nachmittagsgebet, welches nach unserer Zeit um drei Uhr vorgeschrieben ist. Ich empfing ihn in meiner Stube, wo ich mich mit ihm allein befand. Er erlaubte es nicht, daß ich nach Pfeife und Kaffee für ihn rief, und gab als Grund dafür an:
„Jeder Gläubige darf rauchen, denn Allah ist nachsichtig mit den Schwächen des Menschen; ein Strenggläubiger aber enthält sich des Tabaks. Und da das Wasser des Nils meinen Durst stillt, so sehe ich nicht ein, weshalb ich Kaffee trinken soll. Das Fasten ist meine Nahrung und das Gebet meine Speise. Gibt es unter den Christen auch solche Leute?“
„Ja, wir hatten und haben viele fromme Männer, welche den Freuden und Genüssen der Welt entsagten, um sich nur allein mit Gott zu beschäftigen.“
„Wohl ihnen, denn je weiter die Seele sich von der Erde entfernt, desto näher ist ihr der Himmel. Doch ich kam nicht, um mit dir solche Betrachtungen anzustellen, sondern um von den Königsgräbern zu sprechen. Willst du sie noch sehen?“
„Das versteht sich. Ich habe keinen Grund, meinem Wunsch zu entsagen.“
„So mache dich für morgen, eine Stunde vor der Mittagszeit, fertig. Ich erwarte dich draußen vor dem Tor.“
„Wohin reisen wir?“
„Wir haben nur eine Stunde zu gehen.“
„So nahe? Und dennoch bist du der einzige, der die Gräber kennt?“
„Ja, der Einzige, denn die Beschaffenheit dieses Ortes ist eine solche, daß niemand alte Gräber da vermutet.“
„Sage mir aber, welche Vorbereitungen ich zu treffen habe.“
„Sie sind gering, denn sie bestehen nur darin, daß du einen Strick und eine Fackel mitnimmst, wie du deren heute in der Höhle von Maabdah gebraucht hast.“
„Nur eine?“
„Ja, sie wird reichen. Doch habe ich auch nichts dagegen, wenn du dich mit mehreren versehen willst.“
„Wie lang soll der Strick sein?“
„So lang, daß sich drei Männer, welche nacheinander in die Tiefe steigen, an denselben binden können. Das muß geschehen, damit einer, wenn er fällt, von den beiden anderen gehalten wird.“
„Drei? Du nimmst noch jemand mit?“
„Nein. Nicht ich, sondern du wirst das tun. Du bedarfst eines Dieners.“
„Aber ich habe geglaubt, daß du nur mir dein Geheimnis anvertrauen willst.“
„Wir bedürfen der Hilfe einer dritten Person, und darum muß ich, wenn ich dir mein Versprechen halten will, mich leider außer dir noch einem anderen offenbaren. Doch werde ich ihn schwören lassen, daß er niemals etwas verraten werde. Du hast doch einen Diener?“
„Nein.“
„Ich habe den langen Mann, welcher mit dir in Maabdah war, für deinen Diener gehalten.“
„Er ist derjenige eines Freundes von mir.“
„Das ist so gut, als ob er der deinige sei. Kann er jetzt einmal kommen? Ich will mit ihm sprechen.“
Ich schickte nach Selim; er kam. Der Fakir musterte ihn mit prüfendem Blick und fragte ihn dann:
„Wie ist dein Name?“
„Kennst du ihn noch nicht?“ lautete die stolze Antwort. „Er ist in allen Dörfern und Zelten bekannt und hat die Länge des ganzen Nils. Wer ihn nicht vollständig gebrauchen will, was allerdings zu raten ist, da die Aufzählung meines ganzen Namens viel Zeit in Anspruch nimmt, der nennt mich kurzweg Selim.“
„Gut! Also Selim, hast du Mut?“
„Mut? Wie ein Löwe, oder vielmehr wie zehn Löwen, wie hundert, wie tausend Löwen. Ich bin der kühnste Krieger meines Stammes und nehme es mit allen
Weitere Kostenlose Bücher