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272 - Dieser Hunger nach Leben

272 - Dieser Hunger nach Leben

Titel: 272 - Dieser Hunger nach Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Schwarz
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der schweren Stiefel folgte das Pochen an meiner Tür.
    Ich erhob mich und wankte zum Tisch, wo ich mich auf einen Stuhl sinken ließ. Mein »Herein« ging in einem starken Rülpser fast unter.
    Mein erster Maat Peter Bigfoot trat ein. Er war ein älterer, überaus fähiger Seemann. Bigfoot, den ich Pedro nannte, gehörte zu der englischen Besatzung der Karavelle, die wir zum Teil übernommen hatten.
    »Capitán, ihr habt wieder getrunken«, sagte er in vorwurfsvollem Ton und fixierte mich scharf. »Dabei verspracht ihr doch, es zu lassen.«
    »Wie redest du mit deinem Capitán!«, brüllte ich, fuchtelte mit den Armen in der Luft und fiel dabei fast vom Stuhl. »Die neunschwänzige Katze ist dir sicher, Bigfoot. Gleich jetzt.«
    »Verschieben wir das auf später, Capitán«, erwiderte der Engländer leichthin und half mir, wieder gerade zu sitzen. »Es gibt ein ernstes Problem, bei dem ich euren Ratschlag benötige.«
    Ich versuchte mich gerade aufzurichten, aber alles um mich drehte sich in immer schnelleren Kreisen. Schließlich holte Bigfoot einen Krug eiskaltes Wasser und leerte es über meinen Kopf. Ich prustete. Der Schock brachte mir wieder etwas mehr Klarheit. »Ich werde dich mit der neunschwänzi…«
    »Ja, ja. Capitán, die Mannschaft will nicht mehr weiter segeln. Sie fürchtet sich vor dem Phänomen, das heute Nacht auftrat und das jetzt allgemein bekannt wurde.«
    »Was… für ein Phämo… Phämen… Phän…«
    Bigfoot, der mich als Freund betrachtete wie ich ihn, sah mich ernst an. »Wir sind in einen Teil des Ozeans vorgedrungen, in dem die Naturgesetze nicht mehr gelten, Capitán. Denn die Kompassnadel weicht plötzlich beharrlich vom Nordstrich ab und wandert immer weiter nordwestlich, je weiter wir segeln. Das ist Teufelswerk, denn wir können uns nicht mehr orientieren.«
    Ich hielt das, was Bigfoot erzählte, für blanken Unsinn, und stieg mit ihm an Deck. Dort hatten sich die Matrosen, Engländer wie Spanier, in Gruppen zusammengerottet und starrten finster zu mir herauf auf das Achterkastell. Ich sah manch eine Hand, die einen Knüppel umkrampfte.
    Bevor ich mit ihnen diskutierte, sah ich mir das Phänomen erst selbst an. Und bei der heiligen Jungfrau Maria, es stimmte tatsächlich. Ich konnte es mir auch nicht erklären.(Damals war die Wissenschaft vom Magnetismus der Erdpole noch unbekannt) Doch ich wollte nicht klein beigeben, obwohl auch mir eiskalte Schauer über den Rücken liefen und meine Hände zitterten. Aber auch Cristóbal Colón, der Las Indias bereits erreicht hatte und wieder zurückgesegelt war, musste auf dieses Phänomen gestoßen sein und es überwunden haben.
    Solcherlei Rede zog jedoch nicht bei den Matrosen, die mich sogar einen verdammten Trunkenbold schimpften, der sie alle ins Verderben ziehen würde. Pedro Bigfoot stellte sich vor mich, als die ersten Matrosen die Treppe zum Kastell hochstürmen wollten. Da ließen sie ab. Und wieder kam mir die heilige Jungfrau Maria zu Hilfe, indem sie plötzlich einige Möwen schickte, die um das Schiff kreisten und sich dann laut schreiend auf dem Großmast niederließen. Da auch dem dümmsten Matrosen bekannt ist, dass sich Möwen nie mehr als hundert Seemeilen vom Ufer entfernen, ließen sie sich davon überzeugen, dass Land in der Nähe wäre.
    Tatsächlich stießen wir bald darauf auf eine Küste und in der Folge auf eines von Colóns Schiffen, das uns nach La Isabela geleitete. Der Genueser selbst empfing uns freundlich und wollte sich gar nicht mehr beruhigen vor Lachen, als ich ihm von der Kaperung des englischen Schiffes erzählte. Daraufhin erklärte er mich zum Helden.
    Im Jahre des Herrn 1494 stach der Genueser mit mehreren Schiffen in See, um im Westen nach indischem oder chinesischem Festland zu suchen, das er in der Nähe der vorgelagerten Inseln vermutete. Dazu nahm er ausschließlich Karavellen mit, weil diese hoch am Wind kreuzen können und damit sehr schnell sind. Zu den seinen gesellte auch ich mich mit meiner Mannschaft.
    Es war eine abenteuerliche Reise, bei der wir des Öfteren auf Indios stießen. Sie empfingen uns sehr freundlich, als wir anlandeten. Beim dritten Mal suchte ich mir eine der rassigen Indio-Señoritas aus, um in einer Kuhle aus warmem weißen Sand Rum mit ihr zu trinken und sie danach zu nehmen. Doch sie spuckte den wunderbaren Rum hustend wieder aus, kaum dass er ihre Kehle benetzt hatte, und beschimpfte und kratzte mich. In meinem Zorn rammte ich ihr mein Messer in den Bauch, worauf

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