272 - Dieser Hunger nach Leben
Halb-Nosfera taumelte rücklings auf den Schatten zu, prallte gegen ihn - und drang in ihn ein wie in eine zähe Masse. Gleich darauf brüllte die Blutsaugerin, als würde ihr bei lebendigem Leibe das Herz aus dem Leib gerissen.
Auch Victoria Windsor schrie. Der Schock trieb sie auf die Beine. Benommen rannte sie los, an dem Schemen vorbei und ins Freie…
Bartolomé griff nach der Frau, die den Glanz verstrahlte, doch er wurde von der anderen zurückgestoßen. Zwar glitt sie zäh durch seinen halbstofflichen Körper und versteinerte augenblicklich, doch sie behinderte ihn in seiner Bewegungsfreiheit. Nur flüchtig berührte er die andere an der Schulter, dann war sie draußen.
Bis er sich von der Versteinerten befreit hatte und ihr folgen konnte, war die Gestalt schon im Abstieg begriffen. Sie folgte dem Pfad ins Landesinnere, nicht zum Dorf hinab, wo sie den anderen in die Hände gelaufen wäre. Und sie war schnell.
Trotzdem setzte Bartolomé zur Verfolgung an - als er Mutters Stimme in seinem Kopf hörte. Folge ihr nicht! Die Entfernung wird sonst zu groß. Dann sprach sie zu allen Schatten: Es ist genug. Für den Moment sind wir gesättigt. Kommt zurück!
Die neun Gestalten wandten sich abrupt um und gingen über den Hügel zum Strand zurück. Sie ließen ein Dorf der Versteinerten hinter sich. Dass sie um einiges materieller geworden waren, merkten sie daran, dass sie nun leichte Fußabdrücke im Sand hinterließen.
Bartolomé de Quintanilla hing auf dem Rückweg zur Karavelle seinen Gedanken nach. Die Entfernung wird sonst zu groß , hatte Mutter gesagt. Was meinte sie damit? War ihre Macht begrenzt? Fürchtete sie, er hätte aus ihrem Machtbereich fliehen können? Ahnte sie, dass er nicht gutheißen konnte, was er in ihrem Auftrag tat? Unschuldige Christenmenschen zu töten und sie ihrer Seelen zu berauben, widersprach der Lehre, der er zeit seines Lebens gefolgt war.
Aber lebe ich denn noch? , fragte er sich.
An der Wasserkante blieb er stehen und ließ die anderen Schatten an sich vorbei. Sie waren nun nicht mehr in der Lage, über das Wasser zu gehen, sondern mussten zur schwarzen Karavelle hinüber waten und den letzten Teil des Weges sogar schwimmen.
Maxim kam nun als Letzter über den Hügel.
»Was bindet uns an Mutter ?«, fragte Bartolomé den Riesen. »Könnten wir uns von ihr lossagen, wenn wir es wollten?«
»Was is?« Maxim schaute ihn nur verständnislos an. »Komm mit zu Mutter . Se macht uns stark, kann nich verkehrt sein. Hasse nich gehört, wie'se uns ruft?«
Bartolomé nickte. Dann ging er hinter dem tumben Hünen ins Wasser - hinüber zur Karavelle und zurück in den Schoß von Mutter .
***
Geschichte des Schlagetots Maxim
Ich bin der Maxim. Also, meine Mama, die ist aus Russland, und mein Papa, der war Seefahrer in der spanischen Flotte und hat meine Mama in Russland kennengelernt. Er hat'se mit nach Spanien genommen und dort wurd ich geboren, Anno Domini 1475. Mein Papa war 'n bisschen größer als andere und ist in irgend so 'nem Scheißkrieg drauf gegangen, aber meine Mama ist ganz normal groß. Sie sagt immer, dass sie nicht verstehen kann, warum ich so riesig und so stark geworden bin. Muss wohl 'n sibirischer Bär in ihren Vorfahren gewesen sein. Ha, das ist gut!
Der Kerl in der Hafenspelunke von Cádiz, der wo mich beleidigt hat, ich sei ein Goliath, den hab ich totgeschlagen. Bin doch kein so'n Goliath, ist sicher was Komisches. Ich lass mich nicht beleidigen. Schon wo ich zwölf war, war ich so stark, dass die mich nicht mehr beleidigen konnten. Hab da bei so 'nem Kerl gearbeitet, der wo Rum in Fässer gefüllt und an die Seefahrer im Hafen verkauft hat. Der Kerl hat gemeint, ich hätte Eier wie'n Stier, und wollte mich da anfassen. Da hab ich ihn an den Füßen gepackt, hochgehoben und in einem von seinen Rumfässern ersäuft. Mann, wie der gezappelt hat, das war vielleicht lustig. Und keiner kam drauf, dass ich den Kerl um die Ecke gebracht hab. Hab nämlich gesagt, dass er da selbst reingefallen war. Schlau, was?
Aber als ich den Kerl in der Hafenspelunke totgeschlagen hab, da kamen die Soldaten vom König Ferdinand und wollten mich verhaften. Aber ich lass mich nich verhaften, und da hab ich sie auch totgeschlagen. Als sie mich dann gejagt ham, da war ich wieder schlau und bin auf'n Schiff, das wo nach Las Indias gesegelt ist, denn der Capitán hatte schon vorher gesagt, dass er mich mitnehmen will, weil's da Gold und jede Menge Weiber hat.
Auf dem Schiff
Weitere Kostenlose Bücher