2720 – Im Stern von Apsuma
Entscheidungen nachzudenken. Sie fielen nicht in seine Zuständigkeit. Er zeichnete nicht dafür verantwortlich. Höhergestellte Persönlichkeiten wussten besser, was für das Neue Tamanium gut und richtig war. Er musste nur seinen Job erledigen. Mehr war die Arbeit für ihn nicht mehr. Kein Beruf, und erst recht keine Berufung.
In seinen Augen war diese Entscheidung des Verteidigungsministeriums geradezu irrwitzig. Ohnehin war diese Bezeichnung schlicht wahnsinnig. Verteidigungsministerium ... Wen oder was hatte dieses Ministerium je verteidigt?
Seinen Sohn jedenfalls nicht.
Und seine Frau auch nicht.
Ein Nachrichtenholo baute sich vor ihm auf. Eines der nächsten Shuttles war bemannt. Das musste der Variofabrik angezeigt werden, sonst würde das Transportshuttle automatisch gestoppt werden.
Gador-Athinas nahm das Gespräch entgegen.
Er kannte den Mann, der an Bord des Transporters war. Kelen-Setre. Nicht gerade ein Freund, im Gegenteil, aber ein Leidensgenosse, mit dem das Schicksal ihn durch enge Bande zusammengefügt hatte.
Was will er von mir?, fragte sich Gador-Athinas. Aber er ahnte es schon.
Er unterbrach die Verbindung wieder, bevor der andere nur ein Wort sagen konnte. Er würde es herausfinden.
Selbst ein Gespräch mit Kelen-Setre war besser als die ewig kreisenden Gedanken um seinen Sohn.
Oder die um die Produktionsabläufe und ihren Sinn und Zweck.
Er ließ das Shuttle passieren.
7.
Apsuma
15. August 1514 NGZ
Wenn man eine Stadt kennenlernen wollte, so richtig kennenlernen, musste man ihre Niederungen sehen. Diese Lektion hatte Blumencron schon in seinen ersten Jahren als Händler gelernt und seitdem stets beherzigt.
Also suchte er die Niederungen von Apsuma auf, um dort am Pulsschlag des Lebens zu lauschen. Er kleidete sich unauffällig in einen schlichten Leinenanzug mit Hosenträgern, ohne aufwendigen Pomp. Seine Aufmachung war alles andere als exotisch.
Apsuma war eine aufstrebende Metropole, die Hauptstadt des gesamten Neuen Tamaniums mit fast 90 Millionen Einwohnern. Da sah man ganz andere, viel buntere und fremdartigere Gestalten als ihn. Er würde nicht großartig auffallen, wenn überhaupt.
Er nahm den Schnellzug um 08:17 Uhr, der auf Prallfeldern vom Sternhafen Izant-Rot über die ellipsoide Hauptverbindung der Sternhafen-Straße nach Apsuma-Mitte schwebte. Das Gefährt kam rasant voran. Bei der Stadtplanung hatte man von Anfang an darauf geachtet, eine Infrastruktur zu schaffen, die über Jahrhunderte Bestand haben würde.
Als er aus dem Fenster sah, erblickte er auf der rechten Seite den Styrpas-See. Links beobachtete er Raumschiffe, die auf dem zivilen Sternhafen Agoo-Blau starteten und landeten.
Mit unnatürlich anmutender Leichtigkeit senkten sie sich auf die ihnen zugewiesenen Landeflächen oder hoben sich in die Lüfte. Der Flugverkehr ging nahezu geräuschlos vonstatten. Die großen und kleinen Schiffe waren angewiesen, Antigravs und Prallfelder zu benutzen, und Akustik- und Schalldämmungsfelder sorgten für eine weitere Reduzierung der Lärmbelästigung.
Schon bald kam das Tamaghat in Sicht, der Stern von Apsuma, der Regierungssitz von Tamaron Vetris. Blumencron musste beeindruckt anerkennen, dass dieses Gebäude der Solaren Residenz oder dem Kristallpalast von Imperator Bostich auf Arkon I durchaus Konkurrenz machte.
Es glich einem elfzackigen Stern, der aus einem künstlich angelegten, raffinierten Wasserpark am Südrand des Styrpas-Sees aufragte. Seine Mittelachse bildete ein extrem gestrecktes, 880 Meter hohes und im Zentrum 100 Meter durchmessendes Ellipsoid, das mit Müh und Not eine gewagte Balance zu halten schien.
Von dessen Zentrum gingen vier Zacken aus, deren Spitzen ebenfalls den Boden berührten. Sie waren etwa 600 Meter lang und hatten an der dicksten Stelle einen Durchmesser von ebenfalls 100 Metern. Zwei kürzere wiesen ebenfalls nach unten, erreichten den Boden jedoch nicht. Zwei weitere strahlten vom Zentrum horizontal aus, der eine 250, der andere 350 Meter weit. Die letzten drei Zacken wiesen in einem Winkel von 70 Grad in die Höhe. Sie waren jeweils etwa 400 Meter lang. Der gesamte Stern war mit einem spiegelnden Metallplast verkleidet.
Das ganze Gebilde war höchst asymmetrisch und vermutlich wenig funktionell, aber beeindruckend grazil und umwerfend schön, wie Blumencron neidlos anerkannte. Es erinnerte ihn an einen Seestern und war durchaus imstande, die Rolle als Sinnbild für einen gesamten Planeten, ja ein gesamtes Sternenreich
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