2727 – Am Gravo-Abgrund
verarztet. Inzwischen schloss sich die Haut sichtlich. Der rote Zacken über der Nase war zu einem rosafarbenen Strich verblasst.
Pri blieb in der Nähe der Tür stehen. Sie wirkte isoliert. Zwar grüßten einige sie flüchtig: Sie hoben die Hand oder winkten ihr zu, doch die Herzlichkeit, die Shanda früher zwischen Pri und den Mitgliedern des Widerstands beobachtet hatte, schien seit Angh Pegolas Tod und dem ersten Zug nachgelassen zu haben.
Shanda erinnerte sich gut, wie Pri nach dem Zusammentreffen mit Perry Rhodan reagiert hatte. Ihre Gedankenbilder hatten sich abwechselnd aufgebläht und waren zersplittert, um kurz darauf wieder kompakt und klar auszusehen. Die Anführerin des Lunaren Widerstands hatte an Panikschüben und Wogen des Selbstzweifels gelitten.
Der Zellaktivatorträger hatte Pris Weltbild ins Wanken gebracht und sie mit ihren Grenzen konfrontiert. Pri war weder eine militärische Strategin, noch besaß sie die Überlegenheit und Weitsicht eines Rhodan. Zusätzlich hatte Pri erfahren müssen, dass die Onryonen terranische Schiffe mit Linearraum-Torpedos beschossen hatten, die Auslieferung von Rhodan sowie die Befehlsgewalt im Solsystem forderten und dass der Transfer durch den Schacht im Vergleich zu Terra und dem Einstein-Raum rund sechzig Jahre länger gedauert hatte.
Jeder Faktor für sich konnte einen Menschen buchstäblich von den Füßen fegen. Besonders die sechzig Jahre Zeitzuwachs trafen die Lunarer mit bitterer Härte. Auch der Tod Angh Pegolas setzte Pri zu. Es hieß, Pri habe Angh zu seiner Tollkühnheit angetrieben, weil der Einsatz vor der Mission ins Mare Nubium seinetwegen gescheitert war.
Inzwischen hatte sich Pri ein wenig gefangen, doch sie war weit davon entfernt, die kühle Ruhe auszustrahlen, die dem Widerstand gutgetan hätte.
Pri steht unter enormem Druck. Luna ist unterwegs, wir sind alle schockiert, wieder von der Erde getrennt, und viele suchen nach einem Ventil für ihre Unsicherheit.
Auch Raphal Shilo, der Leibwächter Pris, machte einen distanzierten Eindruck. Shanda empfand das Verhalten der Widerständler als ungerecht. Was hätte Pri tun können? Ja, sie hatte die Zeit nicht genutzt – obwohl sie genau das versprochen hatte. Der erste Zug war getan. Aber wer hätte ahnen können, dass es so schnell gehen würde?
Shanda ging zu Pri. »Alles in Ordnung?«
»Ja. Ich habe Informationen von Verbündeten aus dem Mondgefängnis bekommen. Die Zahl der Toten und Verletzten hält sich in Grenzen. Vom Widerstand ist niemand direkt betroffen.«
»Das ist eine sehr gute Nachricht. Warum bist du so nervös?«
Pri zögerte. »Es gibt eine weitere Information. Mein Vater wird in wenigen Stunden eine Rede halten. Ich ... Es ist unwichtig.«
»Nein, das ist es nicht.« Pris Vater war der Lunare Resident. Wenn er eine Rede hielt, war das sicher wichtig, und vor allem hatte es eine Bedeutung für Pri. »Was macht dir Sorgen?«
Pri hob den Kopf. In ihrem verletzten Gesichtsausdruck entdeckte Shanda einen Schatten des Kindes, das den Vater geliebt haben musste. Auch wenn diese Liebe so tief vergraben lag, dass Pri selbst sie vergessen hatte.
»Ich fürchte, dass Antonin wieder für sie spricht. Dass er die Onryonen verteidigt und sie zu Helden verklärt, die aus dem Schacht gestiegen kamen, um uns zu retten. Dabei glaube ich, dass er anders denkt. Ein Teil von ihm weiß inzwischen, dass die Onryonen uns von Anfang an belogen haben. Leider ist er zu stolz, es zuzugeben.«
»Du würdest ihn gern wachrütteln?«
»Ja.« In Pris Gesicht zeigte sich Misstrauen, wie Shanda es nur allzu gut kannte. Immer wieder sahen Menschen Shanda auf diese Weise an, die stumm zu fragen schien: Liest du meine Gedanken?
»Es war eine Vermutung, okay? Du weißt, dass ich die Gedankensphäre anderer Menschen respektiere.«
»Danke, Shanda! Fürs Zuhören. Im Widerstand versteht man meine Gefühle nicht. Mein Vater ist für die anderen der Feind. Es wäre seine Aufgabe, die Lunarer über die Lügen der Onryonen aufzuklären. Immerhin ist er der Resident. Stattdessen stärkt er den Besatzern immer wieder den Rücken. Trotzdem gibt es einen Teil von mir, der hofft, dass Antonin ein Einsehen hat und sich auf unsere Seite schlägt.«
Toufec winkte in den Raum. »Kommt alle her und seht euch das an!«
Die Widerständler versammelten sich zusammen mit Pri und Shanda vor der Holosphäre.
»Was ist denn los?«, fragte Shanda.
»Gravophänomene.« Toufec wies mit einer knappen Kopfbewegung auf die
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