2728 – Die Gravo-Architekten
nun nutzte sie die erstbeste Gelegenheit, nach ihm zu sehen.
Was wollte sie? Rache? Ihren Vater verletzen, wie er sie immer wieder verletzt hatte? Oder ihn von ihrer Sache überzeugen? Ihn konvertieren, was von vorneherein zum Scheitern verurteilt sein musste?
Beides war dumm und ihrer unwürdig. Trotzdem kam sie nicht gegen den Wunsch an, Antonin zu sehen.
Einen Moment dachte sie an das rote Wabern, das über Luna lag. An den Neutronenstern, dem sie entgegenstürzten. Sollte die Beziehung zwischen ihr und dem Vater im Hass enden?
Jena Tirig sprach in ihr Multifunktionsgerät, schnell und leise. Sie orderte Leibwächter. Kein dummer Zug, immerhin hatten Leute aus dem Widerstand erst vor wenigen Wochen versucht, ein Attentat auf den Residenten zu verüben. Zwar ohne Pris Einwilligung, aber das konnte Jena Tirig nicht wissen.
Sie schwebten durch die transparente Röhre. Das Wasser unter ihnen wurde mit dem Verblassen der Lichttürme dunkler. Dafür spiegelten sich erste Lichter aus den Fenstern des Flip und von der Skyline. Es sah so friedlich aus, dass Pri am liebsten etwas hineingeworfen hätte. Lüge. Alles Lüge. Der Frieden, die Ruhe, vielleicht sogar ihre eigenen Absichten.
In der Inneren Kugel empfingen sie zwei hünenhafte Wachmänner in Uniformen, die Pri genauestens durchleuchteten, ehe sie weitergehen durfte.
Vor Pri tauchte eine unscheinbare hellgraue Gleittür auf. Sie lag im kalten Schein der künstlichen Beleuchtung. Das Arbeitszimmer des Vaters. Das Allerheiligste, zu dem er Pri als Kind den Zutritt verweigert hatte. Ihr Harnisch aus Wut verstärkte sich, während sie auf die Tür zuging, hinter der Antonin Sipiera an seinem Platz sitzen würde, ganz in seinen Job vertieft, auf dessen Altar er seine Familie geopfert hatte.
»Zehn Minuten«, sagte Jena Tirig. »So viel Zeit ist dein Vater bereit, mit dir allein zu verbringen. Sollte es länger dauern, kommen die Wachmänner herein.«
Pri lächelte schmal. Sie wollte und konnte den Sarkasmus nicht zurückhalten. »Das ist weit mehr als in meiner Kindheit. Man könnte fast meinen, ich hätte Geburtstag.«
Sie wartete nicht, bis Jena Tirig vorauseilte, um sie anzukündigen, sondern verstellte der Beraterin bewusst den Weg.
Die Tür glitt auf.
Pri trat in ein weitläufiges Büro mit Panoramafenster. Die Aussicht über Luna City war beeindruckend, wenn es auch weit höhere Orte in der Mondhauptstadt gab.
Wie frühere Arbeitsräume war auch dieser zurückhaltend eingerichtet. Keine Holobilder, eine einzige Grünpflanze, die wohl nur deshalb überlebte, weil Gießroboter sich um sie kümmerten.
Antonin Sipiera erhob sich aus dem Pneumosessel vor seinem nostalgisch wirkenden Schreibtisch. Es gab außer dem Schreibtisch noch eine moderne Arbeitsstation, die vom Panoramafenster fortwies.
Eigentlich hatte Pri ihren Vater kühl begrüßen wollen, doch als sie vor ihm stand, brachte sie kein Wort heraus. Er sah so mager aus. Geschwächt. Und auf seltsame Weise kleiner als früher. Als hätte er mit jeder Lüge, die er den Onryonen geglaubt hatte, einen Millimeter verloren. Wie lange war es her, dass sie ein Vieraugengespräch geführt hatten? Sie kam nicht darauf. Erinnerung war ein merkwürdiges Ding.
Antonin kam ihr einen Schritt entgegen. »Pri. Du willst mit mir sprechen?«
Hinter ihr schloss sich die Tür.
Pri räusperte sich. »Ich habe deine Rede gehört. Darüber, dass die LFT den Mond angreifen würde. Warum erzählst du der lunaren Bevölkerung solche Lügen?«
»Lügen?« Ihr Vater wirkte verwirrt. »Das ist die Wahrheit.«
»Ach, schenk dir das. Womit haben sie dich gekauft? Oder ist es dein Stolz, der dich blind macht? Bist du so weit gegangen, dass du nicht zugeben willst, Tausende von Metern auf einem Holzweg verbracht zu haben?«
Antonin straffte die Schultern. Egal wie schwach er wirkte, er überragte sie um einen guten Kopf. »Du hast Nerven. Ich wollte Luna stets beschützen. Dein Widerstand dagegen hat uns durch Sabotage direkt in dieses extreme System geführt. Euretwegen droht der Mond zu zerbrechen.«
Die Worte saßen wie wohlplatzierte Ladungen aus einer Elektrowaffe. Trotzdem ließ sich Pri keine Reaktion anmerken. »Wer hat denn tatenlos zugesehen, wie das Transpositor-Netz vor seiner Nase gebaut wurde? Und wie sie NATHAN korrumpiert haben? Hast du dir nie überlegt, dass Luna eine Waffe in den Händen der Feinde sein könnte?«
»Die Onryonen sind keine Feinde. Sie wollen den Frieden in der Milchstraße. Das ist ein
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