2728 – Die Gravo-Architekten
schon älter, seine Haare schimmerten weiß, aber er war gut auf den Beinen. Zusammen hetzten sie über einen Kiesweg, hin zur Straße, auf ein Hochhaus mit autarker Schutzkuppel zu.
Über ihnen knackte und fauchte es. Satheki hatte noch nie einen Sturm erlebt, bloß Holobilder davon gesehen. Aber das da oben musste einer sein. Ein Sturm, der so gewaltig war, dass er seine Kräfte vorausschickte.
Etwas Unsichtbares umklammerte Satheki von hinten und riss sie fort. Ihre Füße hoben vom Gehweg ab. Nelson hielt sie fest. Er packte mit der anderen Hand zu, dass es am Handgelenk schmerzte, und warf sich zusammen mit ihr in die Strukturschleuse des Wohnturms. Sie fielen auf harten Untergrund.
»Weiter!« Nelson half Satheki, indem er sie zog. Ihr Handgelenk hielt er nach wie vor umklammert.
Sie robbten auf dem Boden, während sich die Schleuse hinter ihnen schloss.
Nelson brachte sie ins Haus. Draußen machte die Stadt Geräusche, fauchte und schrie und ängstigte Satheki. Um sie her ächzte und stöhnte es weiter. Sie hielt sich die Ohren zu und kniff die Augen fest zusammen.
Das machte es beinahe noch schlimmer. Sathekis Gedanken verselbstständigten sich. Sie glaubte, den Wind zu spüren, der durch die Straßen pfiff. Ein einziges, großes Gravo-Phänomen, das keine Onryonen oder Gleiter packte, sondern die ganze, riesige Kuppel mitsamt dem Geflecht. Wie ein zorniger Sternengott in den Geschichten zerriss eine übergroße Hand Luna City, zermalmte die Kuppel, zerrieb die Häuser zu Metallschlieren und flüssigem Plast.
Der Wohnturm knirschte. Scheiben klirrten.
»Was ist das?«
Die Stimme Nelsons klang besorgt. »Das ist ein altes Haus. Hoffen wir, dass es standhält.«
7.
Aus Dhalaams Tiefen
Sie konnten ihre Flucht in die Etagen unter der Werft der Beer & Mädler-Universität schnell abbrechen. Der Repulsorwall hatte gehalten und sich nach wenigen Minuten mithilfe der Techniker stabilisiert. Dennoch hatte es Luna City getroffen wie der Axthieb eines wütenden Kosmogiganten. Hätte das smarte Panzertroplon sich nicht vorübergehend mit dem Geflecht verbunden, die Schutzglocke um Luna City wäre gefallen.
Insgesamt waren zehn Wohntürme eingestürzt, neun davon waren bereits im Vorfeld aufgegeben worden.
Gut vier Stunden nach dem Start der Sonde trafen sie sich in kleiner Runde im Clark Flipper Building, um die Auswertung der gesammelten Daten zu besprechen. Wieder saßen sie um den Tisch, unter dem sich das Wappen Luna Citys erstreckte. Dieses Mal befanden sich statt onryonischer Leibwächter die Technikerin Menthennar Zariy und der Genifer Aytosh Woytrom im Raum.
Shanda war übermüdet, aber gleichzeitig hellwach. Sie hatte sich mehrere Synthodrinks gegönnt und ein leicht stimulierendes Mittel eingenommen. An Schlaf war nicht zu denken, ehe die Auswertung der Datenmenge besprochen war.
Die Stimmung im Konferenzsaal war aufgekratzt. Keiner gab es zu, doch jeder hoffte auf ein Wunder.
Im Zentrum der Stadt heulten unablässig Sirenen. Bunte Lichter flammten vor dem Panoramafenster in den Straßen und am Ufer des Flusses durch die Nacht.
Es waren sowohl lunare als auch onryonische Rettungskräfte im Einsatz, um Verletzten zu helfen und Verschüttete zu befreien. Auch viele der Evakuierten waren aus den sublunaren Ebenen zurückgekehrt und beteiligten sich bei Hilfsaktionen. Inzwischen zeichnete sich ab, dass es rund hundert Todesfälle gegeben hatte, von Lunarern, die sich gegen die Evakuierung gesträubt hatten. Hundert zu viel, und doch hätte der gravitative Einbruch zu weit mehr Schaden führen können. Ohne die Evakuierung wäre die Zahl in die Tausende gegangen.
Kemeny stellte sich vor die Holosphäre, die die gesamte Wand bedeckte. Wieder zeigte das Holo das rote Wabern der Plasmawolke, in dem die Neutronensterne eingebettet waren wie Geschwüre. Der Anblick war zugleich faszinierend und entsetzlich.
Shanda würde sie wohl nie betrachten können, ohne ein unangenehmes Prickeln auf der Halswirbelsäule zu fühlen. Sie dachte an mythische Vorstellungen und beugte sich dicht an Toufecs Ohr. »Wer die Engel in einen Abgrund stoßen wollte und sie dort in der Finsternis anketten, der könnte diesen Ort wählen.«
Kemeny räusperte sich. »Die Entfernung zu Dhalaam-Delta ist derzeit auf gut einundsechzig Millionen Kilometer geschrumpft. Fest steht nach wie vor, dass wir von den gravitativen Kräften vor dem Erreichen des Sterns zerrissen werden. Die kritische Distanz liegt bei einer
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