28 - Im Lande des Mahdi II
erhielt einen Vorsprung, welcher nicht rasch einzuholen war. Der ‚Falke‘ des Raïs Effendina war zwar ein Schnellsegler und der ‚Eidechse‘ weit überlegen, aber wenn diese sich in einen versteckten Maijeh verkroch, so segelte der ‚Falke‘ vorüber, ohne sie zu finden.
Auf den Raïs Effendina konnte ich mich also nicht verlassen; ich mußte Rettung einzig und allein bei mir selbst suchen. Das erklärte ich meinen beiden Mitgefangenen. Ben Nil hatte alles Vertrauen zu mir, sein Großvater wollte aber alle Hoffnung sinken lassen. Er erzählte uns in aller Kürze, daß er, als er von Ben Nil getrennt worden war, ein Schiff gefunden hatte, welches nach Faschodah bestimmt gewesen war. Der Raïs, welcher ihn zufälligerweise kannte, hatte ihn mitgenommen und ihm später die Stelle des Steuermanns anvertraut. Auf der Rückfahrt begriffen, waren sie heute früh von dem Boot des Sklavenjägers angehalten worden. Ibn Asl hatte sagen lassen, daß eine gewaltige, neu angeschwemmte Omm-Sufah-Insel den Nilarm unpassierbar gemacht habe. Der Kapitän hatte sein Schiff nach dem Ufer dirigiert und den alten Steuermann im Boot des Sklavenhändlers vorangehen lassen, um die Strecke zu untersuchen. Anstatt einer Omm-Sufah-Insel aber hatte der letztere die Gefangenschaft gefunden. Nun klagte er alle Welt und Allah an und fragte, wie es gekommen sei, daß Ibn Asl eine solche Rache auf uns habe. Als sein Enkel ihm diese Frage in kurzer Weise beantwortet hatte, jammerte er:
„O Allah, o Himmel! Wer hätte das gedacht! Nun sind nicht mehr meine Jahre und Tage, sondern meine Stunden gezählt, denn dieser Sklavenjäger wird uns ermorden. Ich werde die Meinen nicht wiedersehen und ein Ende mit tausend Schrecken finden.“
„Jammere nicht!“ ermahnte ihn Ben Nil. „Du fällst mit deinen Klagen dem Effendi beschwerlich. Sei still und gib ihm Ruhe zum Nachdenken, so wird er sich sicher einen Weg aussinnen, der uns zur Freiheit führt! Übrigens können nur wir beide verloren sein. Du hast Ibn Asl nichts getan, und so kann er nicht grausam gegen dich sein.“
„Hast du denn nicht gehört, was er sagte? Er glaubt, daß ich euer Verbündeter sei, und hat mir ganz dasselbe Schicksal wie euch bestimmt.“
Der alte Mann wollte mir als ein rechter Egoist erscheinen. Er dachte nur an sich und sprach nur von sich, nicht aber von seinem Enkel, welcher sich doch in noch viel größerer Gefahr befand. Aber ich hatte mich geirrt. Er war, wie ich schon damals in Gizeh gesehen hatte, kein Held, und daß er plötzlich in eine so fatale Lage gekommen war, das hatte ihn vollständig verwirrt. Denn als sein Enkel ihm jetzt vorwarf:
„Merkst du denn nicht, daß du den Effendi belästigst? Deine Klagen müssen ihn doch beleidigen!“ antwortete er, zu mir gewendet:
„Verzeihe, Effendi! Ich weiß vor Schreck nicht, was ich tue und was ich sage. Man warf mich so plötzlich nieder und band mir die Arme und die Beine. Das hat mich so angegriffen, daß ich mich selbst kaum mehr kenne. Ich weiß, was ich dir zu verdanken habe, und ich wünsche, dir beweisen zu können, daß ich dir gern danken möchte. Sage mir, was ich tun soll.“
„Klage nicht, sondern füge dich still in dein jetziges Schicksal! Das ist es, was ich von dir begehre.“
Wir waren jetzt an der Insel vorübergekommen und segelten im ungeteilten Strom. Kein Schiff war vor oder hinter uns zu sehen. Da ließ Ibn Asl die beiden vorn am Bug in einem spitzen Winkel aufeinander stoßenden Bretter, auf denen der Name des Schiffes stand, wegnehmen, umdrehen und wieder dort befestigen. War da erst die ‚Eidechse‘ zu lesen gewesen, so stand nun auf den anderen Seiten der Name ‚Karnuk‘ geschrieben. Karnuk heißt Kranich, speziell der Kronkranich. Er wird nach seiner Stimme so genannt. Das ‚Karnuk-nuk-nuk‘ der Kronkraniche pflegte am obern Nil das Herannahen des Morgens zu verkünden.
Ibn Asl hatte also mehrere Namen für sein Schiff. Zu welchem Zweck, daß läßt sich sehr leicht denken. Es stand zu erwarten, daß der Raïs Effendina die ‚Eidechse‘ verfolgen werde; unter dem Namen ‚Kranich‘ konnte sie Hoffnung haben, ihm zu entkommen. Vielleicht bedienten auch andere Sklavenschiffe sich derselben List.
Ich sah zu meinem Leidwesen, daß der ‚Kranich‘ ein sehr guter Segler war, dennoch ließ Ibn Asl auch noch mit Stoßbäumen arbeiten, und um die Schnelligkeit des Schiffes in noch hehrerem Grad zu vermehren, wurde das Boot an einem Tau vorgespannt. Es saßen zwölf
Weitere Kostenlose Bücher