28 Tage lang (German Edition)
massakrieren. Die Wahrheit zu sagen war eine echte Scheißidee gewesen.
«Ich stech dich ab!»
Mir schossen die Tränen in die Augen.«Bitte nicht …», flehte ich.
Durch meinen Tränenschleier sah ich, wie er die Hand hob, um zuzustechen.
In meiner Panik stürzte ich nach vorn und schubste ihn mit aller Macht zur Seite. Er stolperte gegen die Wand, verlor aber nicht das Gleichgewicht, sondern konnte sich gerade noch am Mauerwerk abstützen. Er fluchte undeutlich etwas Hebräisches, das ich nicht verstand. Hebräisch hatte ich im Gegensatz zu vielen jüdischen Kindern im Ghetto kaum gelernt, Polnisch war meine Sprache. Und mein geliebtes Englisch.
Ich versuchte in der engen Küche an ihm vorbei zur Tür zu gelangen. Doch genau in dem Moment, als ich mich an ihm vorbeidrängen wollte, stach er zu und traf mich am rechten Oberarm. Die Klinge drang tief ins Fleisch.
Ich schrie auf. Der Schmerz überwältigte mich. Um mein Leben zu retten, hätte ich fliehen sollen, aber ich war wie gelähmt, starrte nur auf meinen Arm und sah zu, wie das Blut den Ärmel meiner weißen Bluse in Sekundenschnelle verfärbte. Es tat so weh. So unbeschreiblich weh!
Eine solche Verletzung hatte ich noch nie zuvor in meinem Leben. Ich hatte eine solche Angst zu sterben.
Ich heulte und zitterte und konnte vor lauter Tränen rein gar nichts mehr erkennen. Aber an dem lauten, fast tierischen Schnaufen meines Angreifers konnte ich hören, dass er gleich noch mal zustechen würde. Und danach wieder und wieder und immer wieder. Ich würde ihn nicht mehr aufhalten können.
«Zacharia!», hörte ich eine Stimme rufen.
Es war die von Stefan.
«Zacharia, was zum Teufel ist hier los?»
Mein Angreifer hielt inne und antwortete mit aufgewühlter Stimme: «Sie arbeitet für die Deutschen.»
Erleichtert sackte ich zu Boden und hielt mir den Arm. Jetzt würde Stefan ihm erklären, dass ich keine Gefahr war, sondern nur eine kleine Schmugglerin. Dann würde er mir gewiss helfen und meinen Arm verarzten.
Doch Stefan fragte nur misstrauisch: «Tut sie das?»
Nein!, wollte ich schreien, aber ich bekam nur ein Keuchen heraus. Meine Stimme versagte vor lauter Verzweiflung.
«Was hat sie denn sonst hier zu suchen?», schnaufte Zacharia.
«Geh raus, ich regle das», erwiderte Stefan in einem Befehlston, und Zacharia gehorchte ihm. Widerwillig, aber er gehorchte. Was auch immer das hier für eine Untergrundgruppe war, Stefan stand in ihrer Hierarchie ganz offensichtlich über meinem Angreifer.
«Wo warst du überhaupt eben?», fragte Zacharia Stefan mit unterdrücktem Zorn und blieb noch mal stehen. Ihm gefiel es ganz offensichtlich nicht, dass er so rumkommandiert wurde.
«Im Keller.»
Das reichte Zacharia als Antwort.
Was im Keller so überaus wichtig war, hätte mich unter anderen Umständen sicherlich interessiert. Doch jetzt wischte ich mir nur mit dem Ärmel meines unverletzten Armes die Tränen aus dem Gesicht. Ich wollte Stefan sehen.
Ich erkannte, wie er seine Hand auffordernd zu Zacharia ausstreckte, der darauf sein Messer abgab und die Küche endlich verließ.
Stefan trat auf mich zu. Mit dem Messer in der Hand, das von meinem Blut getränkt war.
Mühsam rappelte ich mich auf. Ich wollte nicht mehr länger als ein wimmerndes Etwas vor ihm auf dem Boden hocken.
«Was willst du hier, Lenka?», fragte er.
Er erinnerte sich noch an den Namen, den er sich auf dem polnischen Markt für mich ausgedacht hatte. Nach neun Wochen!
In einem anderen Zusammenhang hätte ich das womöglich schön gefunden. Doch seine Stimme war schroff, und er hielt mir nun ebenfalls das Messer entgegen. Mit ruhiger Hand, was darauf schließen ließ, dass er im Gegensatz zu Zacharia schon mal mit so einem Ding zugestochen hatte.
Seine blauen Augen durchbohrten mich mit ihrem Blick. Sie waren rot unterlaufen wie die von Zacharia. Woran mochte das nur liegen? Jedenfalls lag in ihnen keinerlei Wärme. Keinerlei Charme. Nur Kälte.
Dass ich mich von diesem Kerl so hatte verzaubern lassen, dass ich im Tagtraum mit ihm über den Broadway getanzt war anstatt mit Daniel … ich schämte mich für diese Phantasie in diesem Augenblick so sehr, dass ich meinen Schmerz im Arm vergaß. Ich war so ein kleines, dummes Mädchen.
«Bekomme ich noch eine Antwort?», fragte Stefan nach und hielt dabei das Messer weiter ganz ruhig in meine Richtung. Das wirkte viel bedrohlicher als jedes Fuchteln.
«Ich hab dich auf dem Buchmarkt gesehen und bin dir
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