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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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zusammen. Gleich darauf tupfte er die Wunde mit dem Tuch ab. Jeder Tupfer brannte, als ob er eine Fackel gegen meine Haut hielte.
    «Du machst das gut», lobte er mich.
    «Ich wünschte, das könnte ich von dir auch sagen», schnaufte ich.
    Stefan grinste. Er wusste, dass ich versuchte zu scherzen, dass es keine wirkliche Kritik an ihm war.
    «So, Lenka, gleich ist die Wunde schon mal sauber.»
    «Ich heiße Mira.»
    «Da war ich mit Lenka ja schon nah dran», lächelte er.
    «Und wie heißt du?», fragte ich.
    «Nicht Mira», grinste er und warf das Tuch auf den Boden.
    «Blödmann», antwortete ich.
    «So heiße ich auch nicht», grinste er noch breiter.
    «Trottel?»
    «Viele nennen mich Arschloch.»
    «Keine Ahnung, wie die darauf kommen», grinste ich jetzt auch.
    «Die müssen keinerlei Menschenkenntnis besitzen», sagte er, und seine Augen funkelten frech dabei. Er nahm Nadel und Faden in die Hand und versprach: «Ich verrate dir meinen Namen, wenn du jetzt tapfer bist.»
    «Mein Vater gab mir immer Bonbons für Tapferkeit», erwiderte ich.
    «Ich hab keine Bonbons, aber etwas Apfelsaft.»
    Apfelsaft? Phantastisch!
    «Den würde ich sogar deinem Namen vorziehen», sagte ich, während er den Faden einfädelte.
    «Och, das trifft mich jetzt aber», erwiderte er und verzog scheinbar beleidigt das Gesicht.
    «Wenn ich dir jetzt Fragen darüber stelle, was ihr hier macht», wollte ich wissen, «denkst du dann wieder, dass ich eine Kollaborateurin bin oder einfach nur neugierig?»
    Er schaute mich kurz prüfend an, antwortete dann «einfach nur neugierig» und stach die Nadel in meine Haut.
    Es tat entsetzlich weh.
    Er mochte vielleicht schon öfter Wunden versorgt haben, aber das machte ihn noch lange nicht zum Arzt, noch nicht mal zu jemandem, der das besonders gut konnte.
    «Nun?», fragte Stefan und setzte den zweiten Stich.
    Beinahe hätte ich vor Schmerz aufgeschrien, aber ich biss noch mehr die Zähne zusammen als beim Auftragen des Desinfektionsmittels.
    «Du wolltest mir Fragen stellen.» Er stach wieder in meine Haut.
    Fragen … Fragen waren gut. Fragen würden mich ablenken. Die erste, die mir durch mein schmerzvernebeltes Hirn schoss, war: Kannst du tanzen? Vor meinem geistigen Auge sah ich Stefan, wie er mich zu «Night and day» herumwirbelte.
    Wenigstens sprach ich diese Frage nicht laut aus. Dieser Mann war kein Tänzer, auch wenn er mein Held mit der Rose gewesen war. Er hätte mich eiskalt erstochen, wenn er überzeugt davon gewesen wäre, dass ich eine Spionin war.
    So einer sollte ein Tänzer sein? Lächerlich, Mira, du bist so lächerlich. Er ist keiner, aber dafür bist du im wahrsten Sinne des Wortes eine Traumtänzerin.
    «So viele Fragen auf einmal», lästerte Stefan, da ich immer noch schwieg. «Tut dir das etwa so weh?»
    Anstatt darauf einzugehen, stellte ich endlich eine Frage: «Masada?»
    «Masada?» Er war erstaunt und hielt mit dem Nähen inne.
    Ich war über die Unterbrechung froh und deutete auf die Zeitung: «Kämpfen bis zum Tod?»
    «Ja, kämpfen bis zum Tod», bestätigte er, ohne zu zögern. «Die Deutschen werden uns alle umbringen. Ohne Ausnahmen.»
    Ich sah in sein Gesicht, in seine Augen: Er glaubte das wirklich.
    «Das … das ist verrückt», erwiderte ich. Auch wenn die Deutschen willkürlicher geworden waren seit der Nacht des Blutes, eine Vernichtung aller Juden im Ghetto war unvorstellbar.
    Stefans blaue Augen funkelten mich wütend an, als hätte ich mit meinem «verrückt» seine Religion beleidigt. Mit unterdrücktem Zorn setzte er den nächsten Stich. Gröber.
    Jetzt schrie ich doch auf.
    Er hielt inne, entschuldigte sich jedoch nicht und setzte gleich den nächsten Stich, dankenswerterweise wieder vorsichtiger. Dabei sagte er nur ein Wort: «Chełmno.»
    Selbstverständlich hatte ich von Chełmno gehört. Jede, aber auch wirklich jede der konkurrierenden Untergrundzeitungen schrieb darüber. Bei Chełmno sollten die Nazis Juden in einen Lastwagen gesperrt und dort Abgase hineingeleitet haben. Wie die meisten hielt ich diese Geschichte für frei erfunden. Eine Horrorgeschichte, gesponnen von jemandem, dessen Phantasie sich mit der von Hannah messen konnte, nur unendlich viel dunkler und wahnsinniger.
    Stefan glaubte fest daran, dass die Wahngeschichte von Chełmno nicht nur eine finstere Legende war. Ich beschloss, besser keine Diskussion mit ihm darüber anzufangen.
    «Was ist mit deinen Augen?», fragte ich stattdessen.
    «Meinen Augen?», erwiderte er

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