28 Tage lang (German Edition)
irritiert.
«Die sind rot unterlaufen. Wie die von diesem Zacharia.»
«Wir haben die letzten Nächte durchgearbeitet, um die Zeitung zu setzen und zu drucken. Und um nicht entdeckt zu werden, haben wir kein Licht angemacht. Wir haben beim Mondlicht gearbeitet.»
Nun schnitt er den Faden ab. Endlich war die Tortur vorbei. Ich betrachtete sein Werk: Nicht schön, aber ich würde nicht verbluten, und die Wunde würde in einigen Tagen verheilen. Nur musste ich leider bereits schon heute Nacht mit diesem verletzten Arm auf die Mauer steigen.
«Jetzt hast du dir deinen Apfelsaft wirklich verdient», verkündete Stefan, und sein freches Lächeln war wieder da.
Wir rappelten uns vom Boden auf, und ich freute mich auf den Saft. Alle Gedanken an Chełmno, die angebliche Vernichtung des Ghettos oder die Gefahren, die mich in der Nacht an der Mauer erwarten würden, waren mit der Aussicht, meinen Durst mit Apfelsaft zu stillen, verflogen.
«Er ist im Zimmer nebenan», erklärte Stefan.
Just als wir die Küche verlassen wollten, trat eine Frau in die Tür. Sie war bestimmt schon zwanzig Jahre alt und hatte das strenge, aber erhabene Gesicht einer ägyptischen Königin. Obwohl sie sogar noch kleiner war als ich, besaß sie die Ausstrahlung einer Anführerin, auf die andere bedingungslos hörten und der man nicht widersprach.
«Zacharia hat mir erzählt, dass wir einen ungebetenen Gast haben», sagte sie streng und sah mich dabei prüfend an. Sofort war ich eingeschüchtert und blickte zu Boden.
«Sie ist keine Spionin, Esther», erklärte Stefan.
Sie sah mich noch prüfender an, hegte offenbar Zweifel.
«Irrtümer können wir uns nicht leisten, Amos.»
Amos.
Er hieß Amos.
Ein viel besserer Name als Stefan.
Viel, viel besser.
«Ich irre mich doch nie», lächelte Amos frech.
Esther war immer noch skeptisch.
«Die Kleine ist in Ordnung.»
Die Kleine … dass er mich so nannte, gefiel mir nicht. Es reichte schon, wenn Daniel mich alle naselang wie ein Kind behandelte. Und ich mich wie eins verhielt.
«Was will sie dann hier?», wollte Esther wissen.
Jetzt würde er ihr erzählen, dass ich ihm hinterhergelaufen war wie ein verliebtes Mädchen, also wirklich eine «Kleine» war. Gegenüber dieser Frau, die so eindrucksvoll war und eine solche Autorität ausstrahlte, war mir das außerordentlich peinlich. Und gegenüber Amos noch viel mehr.
«Das erzähle ich dir nachher», erklärte Amos.
Für einen kurzen Augenblick war ich erleichtert.
Doch dann gab er dieser Esther einen Kuss auf die Wange.
Sie waren zusammen.
Das gefiel mir nicht.
Und es gefiel mir noch viel weniger, dass es mir nicht gefiel.
Der Kuss ließ Esther kaum merklich erweichen. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich zwar nicht wesentlich, aber sie hakte auch nicht mehr weiter nach und erklärte: «Ich geh in den Keller.»
«Tu das», lächelte Amos und gab ihr auch noch einen Kuss auf den Mund.
Das gefiel mir noch viel weniger.
Esther musste lächeln. Amos’ Charme konnte sie anscheinend nicht komplett widerstehen, selbst – so schätzte ich – in jenen Augenblicken, wenn sie es sich ganz stark vornahm.
Sie verließ die Wohnung, und gleich darauf bedeutete mir Amos, ihm ins Wohnzimmer zu folgen. Dort lagen unzählige Matratzen auf dem Boden, anscheinend schliefen hier Amos, Esther, Zacharia und noch viele andere aus ihrer Gruppe nebeneinander. Amos bückte sich, griff eine fast volle Flasche Apfelsaft und gab sie mir. Ich trank und trank und trank.
«Man kann Bauchschmerzen bekommen, wenn man Saft so schnell trinkt», warnte er mich.
«Weißt du, was mir das ist?», sagte ich, als ich kurz mal zwischendrin absetzte.
«Scheißegal?»
«Absolut richtig.»
Er musste lachen.
Es war schön, ihn zum Lachen zu bringen.
Ich trank die Flasche leer. Köstlich. Mit der Hand wischte ich mir den Mund ab und fragte jetzt doch: «Was ist im Keller?»
«Weißt du, was dich das angeht?»
«Einen Dreck?»
«Absolut richtig.»
Jetzt musste ich lachen.
Amos freute sich sichtlich darüber, mich zum Lachen gebracht zu haben, und lehnte sich an das Fensterbrett. Hinter ihm, durch die verschmutzten Scheiben konnte man den Friedhof sehen. Dank des Drecks auf dem Glas sah der Friedhof aus, als ob Asche über ihm herabregnete.
«Du solltest dich uns anschließen», sagte Amos mit einem Mal. Er meinte das ganz ernst. Er wollte mich in seinem Leben haben. Das war mein erster Gedanke. Aber natürlich war ich schon wieder kindisch. Es ging um Politik.
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