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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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das Korczak.»
    Er sagte das in großem Vertrauen. Er glaubte an seinen Ersatzvater noch mehr als an Gott. Noch viel mehr als Mama an Simon. So sehr wie die Gläubigen nebenan an den Allmächtigen. Daniels Glaube an Korczak war mit Abstand der beste von allen.
    Wenn es nicht so furchtbar gegenüber Mama gewesen wäre, hätte ich mir gewünscht, dass Hannah und ich auch Waisen gewesen wären, die von diesem gütigen, wenn auch müden, bärtigen alten Mann beschützt würden.
    Daniel hörte auf meinen Nacken zu streicheln. Mir war gleich klar, was das bedeutete: «Du willst zurück ins Waisenhaus?»
    «Ich muss», antwortete er. Aber natürlich wollte er auch. Er liebte mich, doch ich musste ihn mit den Kindern des Waisenhauses teilen. Auch und gerade jetzt. Ob es mir gefiel oder nicht. Und ich schämte mich, mir eingestehen zu müssen, dass es mir ganz und gar nicht gefiel.
    Ich stand auf und zuckte dabei kurz zusammen, da ich meinen verletzten Knöchel wieder belastete. Dann gab ich ihm einen Kuss auf die Wange. Er lächelte, dankbar, dass ich von ihm nicht forderte zu bleiben. Wir umarmten uns und hielten uns gegenseitig fest, bis er sagte: «Wir sehen uns.»
    «Wir sehen uns», bestätigte ich.
    Daniel ging aus unserem kleinen Loch heraus, und ich realisierte, dass keiner von uns, obwohl wir an ein Wiedersehen glaubten, sagen konnte, wann genau wir uns wiedersehen würden. Kein «Bis heute Abend», kein «Bis morgen» war über unsere Lippen gekommen.
    Bevor ich darüber nachdenken konnte, was das bedeutete, fragte Hannah: «Erzählst du mir jetzt, wo du die Wunde an deinem Arm herhast oder nicht?»
    Die Wunde. Die Begegnung mit Amos war erst gestern gewesen, aber sie erschien mir eine Ewigkeit her. Dieser Mann spielte in meinem Leben keine Rolle mehr. Daniel war für mich da. Amos nur für seine Hashomer Hatzair.
    «Oder nicht», antwortete ich meiner kleinen Schwester und legte mich völlig erschöpft auf meine Matratze.
    Hannah zog beleidigt eine Schnute. Ganz begriffen, was gerade im Ghetto geschah, hatte sie nicht. Aber das hatten die meisten Erwachsenen ebenfalls nicht. Und obwohl ich glaubte, die Dinge etwas besser zu durchschauen, ahnte ich, dass auch ich noch lange nicht alles wusste.
    Es wäre das Richtige gewesen, Hannah zu erzählen, was auf uns zukam. Und ich würde das auch tun. Nachher. Wenn ich wusste, ob mein Bruder uns womöglich helfen konnte und es daher noch Hoffnung gab. Und wenn ich etwas geschlafen hatte.
    Ich schloss die Augen und bat die Kleine: «Erzähl mir eine Geschichte.»
    «Was?», fragte sie empört. Sie war von Sekunde zu Sekunde mehr beleidigt.
    «Die von den 777  Inseln», bat ich im Tonfall eines kleinen Kindes, das eine Gutenachtgeschichte hören wollte. Nicht etwa weil ich so ein Kind spielerisch nachahmte, sondern weil ich in diesem Moment tatsächlich eins war.
    Das spürte auch Hannah, und es war ein Moment, in dem sich unsere Rollen verkehrten: Jetzt war sie die große Schwester … Mama … was auch immer … und sie erzählte die Geschichte von den 777  Inseln weiter:
    Auf dem schwankenden Schiff stand der Werwolf vor den beiden Kindern und fletschte die Zähne. Er wollte gerade Ben und Hannah reißen, da rief Kapitän Karotte: «Du darfst sie nicht fressen!»
    Das fanden die Kinder außerordentlich gut.
    «Das Gesetz des Meeres verlangt, dass sie über die Planke gehen und dann jämmerlich ersaufen.»
    Das fanden die Kinder weniger gut.
    «… wenn die Bitterrochen sie nicht vorher zerfleischen.»
    Die Kinder wussten zwar nicht, was für Tiere Bitterrochen waren, aber ganz offensichtlich schwammen in dem Meer, in dem die 777  Inseln lagen, andere Raubfische als in unserer Welt, und denen wollten sie lieber nicht begegnen.
    Der Werwolf war nicht begeistert, dass ihm eine Mahlzeit entging, auch wenn er vor sich hinbrummte: «Macht nichts, an denen ist ja eh nur Haut und Knochen.»
    Der Wolf brachte eine lose Schiffsplanke, befestigte sie so, dass sie wie ein Sprungbrett über die Reling ragte, und scheuchte die Kinder darauf. Die Planke bog sich wegen ihres Gewichts leicht durch. Unter ihnen schwappten die sanften Wellen, und unter denen wiederum lauerten die Bitterrochen oder der Ertrinkungstod, denn weder Hannah noch Ben konnten schwimmen. So etwas lernte man als Kind im Ghetto nicht.
    Die beiden umarmten sich, hielten sich liebevoll fest, sagten: «Ich liebe dich» und «I… ich … d… dich a… a…» und «Ich weiß schon, was du meinst.»
    Dann küssten sie

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