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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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kleiner Mann. In jeder Hinsicht.
    «Hallo, Mira», sagte er vorsichtig, abwartend, wie ich reagieren würde.
    «Hallo, Simon», erwiderte ich mit unterdrücktem Zorn.
    «Sag Mira, was du für uns getan hast», bat Mama eifrig.
    Was immer Simon auch getan hatte, sie ging davon aus, dass es mich dazu bringen konnte, mich mit meinem Bruder zu versöhnen. Da hätte er schon die Nazis aus Polen vertreiben müssen.
    «Ja, Simon», sagte ich provozierend, «sag Mira, was du für uns getan hast.»
    «Ich habe Mama eine Arbeitsbescheinigung für Többens Werkstätte besorgt.»
    Többens war ein Deutscher, der sich mit den billigen Arbeitskräften im Ghetto eine goldene Nase verdiente. Bei ihm wurden Mäntel für deutsche Frauen und Kinder genäht und elegante Kleider. Es wurden sogar aus Kleidungsresten künstliche Blumen hergestellt, mit denen die Kleider verziert wurden. Bei Többens, wie überall, verdiente man nichts. Es gab in seiner Fabrik gerade mal eine Scheibe Brot und dünnen Kaffee zum Frühstück und eine Scheibe Brot am Abend. Doch hatte man dort eine Arbeitsstelle, wurde man nicht umgesiedelt. Sklavenarbeit bedeutete seit neuestem das Recht zu überleben. Und da wir Mamas Kinder waren, würde so eine Arbeitsbescheinigung laut Absatz  2 g) unser aller Leben retten.
    Es gab da nur eine Kleinigkeit, die unsere Rettung dennoch unmöglich machte. Mama würde die Arbeitsbedingungen bei Többens nicht lange durchhalten. Elf Stunden Akkordarbeit an den Nähmaschinen waren zu viel für sie. Sollte ich das ansprechen? Würde Mama das nicht bloßstellen? Aber andererseits: Hier ging es um unser Überleben, da war es zweitrangig, ob ich ihre Gefühle verletzte.
    Simon hatte gemerkt, wie ich Mama zweifelnd ansah, und erriet meine Gedanken: «Die Arbeitsbescheinigung ist gefälscht.»
    «Was?» Das erstaunte mich dann doch.
    «Mein Freund Mamel hat sie angefertigt», erklärte Simon. «Er ist überaus begabt, er zeichnet für die Deutschen in deren Befehlsstelle die Karten.»
    «Dann muss er bestimmt sehr stolz auf sich sein», sagte ich bitter.
    Simon begriff natürlich, dass diese Spitze noch mehr auf ihn selber zielte als auf seinen Freund: «Er rettet euch mit dieser Karte das Leben, ohne etwas dafür zu verlangen.» Er sagte es mit bissigem Unterton und meinte damit eigentlich:
Ich
rette euch das Leben, ohne etwas dafür zu verlangen.
    «Er nimmt also normalerweise Geld dafür.»
    «Selbstverständlich.»
    «Selbstverständlich», erwiderte ich kühl.
    «Und nicht zu knapp.»
    «Selbstverständlich», erwiderte ich noch kühler.
    «Wenn ich nicht tun würde, was ich tue», regte Simon sich nun auf, «dann würden wir alle …», er blickte kurz zu Hannah und verschanzte sich ihr zuliebe ebenfalls hinter der offiziellen Formulierung, «… umgesiedelt.»
    Er bezweifelte anscheinend, dass die Deutschen nur Arbeitskräfte für die Felder im Osten brauchten. Oder wusste er doch Genaueres über ihre Pläne? Nein, kein Jude könnte bei der Vernichtung anderer Juden mitmachen. Nicht mal die Judenpolizisten. Bestechungsgelder kassieren, Juden niederknüppeln und üble Befehle befolgen – all das taten diese Verräter, und dennoch war es nicht vergleichbar damit, die eigenen Leute in den Tod zu schicken. Wenn sich Simon wirklich ganz, ganz sicher gewesen wäre, dass die Deutschen die Deportierten töteten, hätte er doch schon längst seine Uniform ausgezogen. Das hoffte ich jedenfalls.
    «Simon hilft uns», bestätigte Mama und deutete auf die gefälschte Arbeitsbescheinigung, die auf dem Tisch lag. Und damit wollte sie sagen: Wir sollten ihm dankbar dafür sein und ihm nicht auch noch Vorwürfe machen.
    Sie hatte natürlich recht. In diesem Augenblick war es gut für mich, für Hannah, für uns alle, dass Simon ein Judenpolizistenschwein war. Papa hatte also damals richtig gehandelt, all sein letztes Geld dafür zu geben, dass Simon bei der Polizei aufgenommen wurde.
    Mit einem Mal fühlte ich mich schuldig. Ich profitierte davon, dass mein Bruder ein Schwein war. Machte mich das auch zu einem? Ich schämte mich so sehr. Und diese Scham konnte ich nicht ertragen. Ich wollte, dass sich Simon für alles, was er im Namen unserer und seiner Rettung Böses tat, mindestens genauso schämte wie ich. Daher fragte ich herausfordernd: «Wo bist du eigentlich mit den Deutschen hingegangen?»
    Er blickte unsicher zu Mama und Hannah, wollte es vor ihnen nicht sagen.
    Was auch immer er getan hatte, ich fand, sie sollten es wissen. Ich

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