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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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sich, wie sie sich noch nie zuvor geküsst hatten.
    Das war ein Moment, in dem ich gerne wieder die Augen geöffnet und erneut meine Meinung kundgetan hätte, dass Hannah noch zu jung zum Küssen war, aber dafür war ich viel zu müde.
    Kapitän Karotte wollte die Kinder mit einem Säbel von der Planke stoßen, doch da rief der Werwolf: «Kapitän, schauen Sie!», und hielt dabei aufgeregt das Buch mit beiden Pfoten hoch. «Sie kommen aus der Welt mit dem großen Festland. Das Mädchen muss die Auserwählte sein!»
    «Wie soll diese Kleine die Auserwählte sein?», redete sich der Kapitän in Rage. «Wie soll so ein kleines Mädchen uns alle retten? Wie soll es den Spiegelmeister bezwingen?»
    Kapitän Karotte wandte sich wieder Ben und Hannah zu, da rief Hannah: «Doch, ich bin die Auserwählte!»
    Alle staunten, einschließlich Ben, und der Kapitän senkte voller Ehrfurcht seinen Säbel.
    «Schlaues Mädchen», murmelte ich leise, bevor ich einschlief.
    «Schlaf gut, Mira», sagte Hannah und strich mir über das Haar.
    Das war schön.
    Eigentlich hätte ich Albträume haben müssen, von SS -Leuten, die mich in Lastwagen trieben, oder von meinem Bruder, der mich zu Tode prügelte, oder auch nur von einem Kapitänshasen mit Säbel. Aber ich träumte rein gar nichts. Falls doch, bekam ich es nicht mit. Mein Schlaf war vor lauter Erschöpfung so tief wie das Meer, das die 777  Inseln umspülte.

17
    «Lasst Mira ruhig schlafen», war das Erste, was ich wieder hörte. Es war die Stimme von Simon.
    «Willst du denn gar nicht mit ihr sprechen?», fragte meine Mutter.
    «Ich hab nicht viel Zeit», erwiderte Simon.
    Das war kein Traum. Mein Bruder war wirklich hier im Zimmer.
    Meine Augenlider waren so schwer. Es würde alle Kraft kosten, sie zu öffnen. Ein Teil von mir wollte diese Kraft gar nicht aufbringen. Lieber wollte ich wieder in die traumlose Tiefe fallen, als Simon zu sehen. Doch ich musste herausfinden, was er hier wollte und ob er uns tatsächlich helfen konnte. Ich befahl meinen Augen, sich zu öffnen. Sie interessierten sich nicht sonderlich für meinen Befehl.
    «Mira würde sich sicher freuen», sagte Mama.
    Das glaubte sie selber nicht, wusste sie doch, was ich von Simon hielt, auch wenn sie noch nicht mal ahnte, dass er es war, der mich niedergeknüppelt hatte.
    «Das würde Mira nicht», widersprach Hannah. Auch sie hatte Simon nicht verziehen, wie er uns in den letzten Monaten im Stich gelassen hatte.
    «Nein, das würde sie nicht», bestätigte Simon, und sein Unwillen, mir zu begegnen, war deutlich herauszuhören.
    «Sie wird sich freuen», insistierte Mama, «wenn sie mitbekommt, was du für uns getan hast.»
    Nun öffnete ich doch die Augen. Ich musste wissen, was er für uns getan hatte.
    Simon stand direkt bei meiner Matratze, seine Uniformmütze in der Hand. Er hatte sich noch nicht einmal hingesetzt, so als ob jede Sekunde bei seiner Familie eine Qual für ihn wäre. Was hatten wir ihm nur getan, dass er uns so behandelte? Oder erinnerten wir ihn nur daran, was er uns antat, und war das vielleicht die Qual für ihn?
    «Mira hat die Augen auf», stellte Hannah fest.
    Simon blickte erschrocken zu mir runter. Vermutlich hatte er Angst, dass ich den anderen von seiner Knüppelei berichtete. Gewiss war er bei seiner Ankunft in unserem Miła-Straßenloch erleichtert gewesen, dass Mama und Hannah noch nicht wussten, dass er es gewesen war, der mir den Großteil meiner Wunden beigebracht hatte.
    Mein Gesicht auf der Matratze war in der Höhe seiner Stiefel. Das Leder war voller Blut. Es war nicht meines. Er hatte mir ja «nur» blaue Flecke und Prellungen beigebracht, blutig hatte er mich nicht geschlagen. Mein Blick wanderte hoch, auch an seiner Hose waren Blutflecken. Seine Jacke war falsch zugeknöpft – mit den Knöpfen hatte er schon als kleiner Junge immer Schwierigkeiten gehabt –, seine Haare umrahmten sein fahles Gesicht, das verriet, dass er in den letzten Stunden viel mitgemacht hatte. Er war jedoch nicht verletzt. Jedenfalls nicht sichtlich. Von wem also stammte das Blut? Wen hatte er für die SS noch geschlagen? Außer seiner eigenen Schwester?
    Ich wollte nicht vor ihm auf dem Boden liegen. Nicht schon wieder. Ich rappelte mich auf. Alles tat mir weh. Schulter. Rippe. Besonders der Knöchel, der dick geschwollen war. Für einen Moment wurde mir wieder schwarz vor Augen, aber ich schaffte es aufzustehen. Da ich nun auf meiner Matratze stand, war ich mit Simon auf Augenhöhe. Er war ein

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