28 Tage lang (German Edition)
Geschäft geworden war.
Sicherlich musste er doch bei dieser neuen Lage Verständnis für mich haben. Andererseits waren Typen wie Ascher nicht zu den Männern geworden, die sie waren, weil sie so viel Verständnis für andere besaßen.
Ich beschloss, das Problem mit Ascher gedanklich vorerst beiseitezuschieben; der Mafiaboss war jetzt eine vergleichsweise kleine Sorge.
Und wie furchtbar war es, in einer Lage zu sein, in der man dachte: Ein Mafiaboss, dem ich ein Geschäft vermasselt habe, ist nicht mein größtes Problem.
Stattdessen berichtete ich den anderen davon, dass ich zum Hauptquartier der Polizei gegangen war mit dem Vorhaben, Simon um Hilfe zu bitten, und dort auf SS -Soldaten getroffen war. Ich berichtete auch davon, dass ich von einem Judenpolizisten niedergeknüppelt worden war – wie sonst außer mit der halben Wahrheit hätte ich meinen Zustand erklären können? –, doch selbstverständlich verriet ich nicht, dass es mein eigener Bruder gewesen war, der mich so zugerichtet hatte.
«Hast du Simon gesehen?», fragte Mama.
«Ja», brachte ich zischend heraus, ich konnte meinen Zorn kaum unterdrücken.
Daniel nahm meine Hand, als wolle er mir meine Wut nehmen, aber das beruhigte mich nicht.
«Wird er uns helfen?», fragte Mama.
«Das hat er gesagt», erwiderte ich wahrheitsgemäß und dachte daran, wie ich vor ihm auf dem Boden gewimmert hatte. Dabei krallte ich meine Hand so sehr in die von Daniel, dass er kaum merklich zusammenzuckte. Jeder andere hätte wohl den Handgriff gelöst, er aber wollte für mich da sein.
«Wenn Simon gesagt hat, er wird uns helfen», verkündete Mama, «dann wird er das auch tun.»
Sie liebte ihren Sohn noch immer, obwohl er sich so lange nicht bei uns hatte blicken lassen, uns nicht mal ein klein wenig von den Extrarationen, die er als Judenpolizist bekam, abgegeben hatte. Wie bei Papa konnte Mama ihm alles verzeihen.
Meine Wut wanderte jetzt von Simon zu ihr. Ich krallte mich immer fester bei Daniel ein, der dennoch nicht losließ. Und eben weil er mir diesen Halt gab, begann ich zu entkrampfen. Mein Zorn wich langsam einer Erschöpfung, schließlich hatte ich nur wenige Stunden geschlafen, und mein Körper war völlig zerschunden.
«Willst du etwas trinken?», fragte er mich.
«Ja, bitte.»
«Dann müsstest du aber meine Hand loslassen, damit ich dir was einschenken kann», lächelte er lieb.
Ein Lächeln. An so einem Tag. Das war ein Geschenk.
«Wenn das so ist, möchte ich lieber nichts zu trinken», lächelte ich zurück und setzte mich an den Tisch, ohne meinen Griff zu lösen.
«Ich kann dir auch einschenken», sagte meine kleine Schwester, nahm einen weißen Porzellankrug und schüttete Wasser in ein Glas.
«Das ist lieb», antwortete ich.
«Die Wunde am Arm hattest du aber gestern schon», merkte Hannah an. Sie ließ nicht locker, wollte immer noch wissen, wie ich sie mir zugezogen hatte.
«Welche Wunde?», fragte Daniel, der neben mir am Tisch stand und dessen Hand ich immer noch hielt.
«Die, über die wir nicht reden wollen», antwortete ich. Ich war jetzt nicht in der Lage, Daniel von meiner Begegnung mit Amos und seinen Leuten von der Hashomer Hatzair zu erzählen.
«Ach, die Wunde», lächelte er verständnisvoll.
Ich löste den Händedruck, und er begann sanft meinen Nacken zu streicheln. Jetzt fühlte ich endlich wieder, dass es auf der Welt noch etwas anderes gab als meine Angst. Daniels Fürsorge. Seine Liebe. Und mir fiel auf, dass ich vor lauter Furcht, Hass und Erschöpfung keine Sekunde darüber nachgedacht hatte, wie es Daniel an diesem schrecklichen Tag ergangen war. Was bedeutete der Erlass der Deutschen für das Waisenhaus?
«Wie hat Korczak reagiert?», fragte ich Daniel.
«Er hat versucht, mit dem Judenrat zu sprechen …»
«Und?»
«Ich weiß es nicht. Ich wollte erst mal zu dir.»
«Aber Korczak wird es doch sicher schaffen, dass die Waisen nicht …» Für einen kurzen Augenblick zögerte ich, es war zu schrecklich, den Gedanken auszusprechen, dass diese von Korczak und Daniel so liebevoll aufgezogenen, wachen und lebendigen Kinder allesamt sterben sollten. So entschloss ich mich, die Formulierung der Deutschen zu übernehmen: «… umgesiedelt werden.»
Kein Wunder, dass die Deutschen dieses Wort verwendeten. «Umsiedeln» war zu ertragen, wenn man nicht durch die Buchstaben hindurch auf die wahre Bedeutung des Wortes blickte.
«Wenn jemand», antwortete Daniel, «die Kinder beschützen kann, dann ist
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