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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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sondern wanderten in den Innenhof.
    Ich hielt den Atem an und die Augen geschlossen, in der Hoffnung, der Spuk würde vorübergehen, wenn ich mich nur weigerte, ihn zu sehen. Als ob so etwas jemals klappte.
    Aus dem Innenhof rief eine Stimme: «Alle Einwohner in den Hof! Jeder darf fünfzehn Kilo Gepäck mitnehmen!»
    Jetzt riss ich die Augen auf. An meinen Traum verschwendete ich keinerlei Gedanken mehr. Ich sprang auf und rannte zum Fenster, das in den Hof führte. Dass Hannah und Mama sich indessen müde aufrappelten, registrierte ich kaum, auch meinen schmerzenden Körper nahm ich nicht wirklich wahr, denn im Hof standen zehn Judenpolizisten.
    Ihr Anführer war ein kleiner Mann, dessen Schnurrbart größer schien als er selber. Unter anderen Umständen und ohne Uniform hätte er komisch gewirkt, wie ein Kerl aus einem Laurel und Hardy-Slapstickfilm. Hier wirkte er durch sein merkwürdiges Aussehen noch furchteinflößender als ein großer kräftiger Mann mit Narben im Gesicht.
    Halbnackt rannte ich aus unserem Loch, in die Wohnung der Leute aus Kraków, die sich weder an meinem Auftauchen noch an meinem Aussehen störten, waren sie doch viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Sachen zusammenzutragen. Durch ein Fenster blickte ich auf die Miła-Straße: Ein Haufen Judenpolizisten hatte sie mit Gittern abgesperrt. Einige von ihnen bewachten die Eingänge zu den Gebäuden, andere stürmten die Häuser. Zweifellos, um Leute aus den Wohnungen, den Treppenhäusern und den Kellern zusammenzutreiben und sie anschließend auf die auf der Straße bereitstehenden Pferdekarren zu verladen, die sie zum Umschlagplatz ziehen sollten, von wo aus es in die Züge gen Osten ging.
    Vor den Karren standen deutsche SS -Soldaten und fütterten die Tiere. Das Zusammentreiben der Juden überließen sie den Judenpolizisten, sie selber streichelten lieber ihre Pferde. Bestimmt bekamen die Viecher auch viel bessere Essensrationen als wir.
    Ich riss mich von dem Anblick los und rannte wieder in unser kleines Loch. Dort sah ich in die entsetzten Gesichter von Mama und Hannah. Von unten schrie der große Schnurrbart: «Wer nicht freiwillig in den Hof kommt, den holen wir!»
    Ich wog alle Möglichkeiten ab. Verstecken ging nicht, dazu hätten wir irgendeinen Schrank umgebaut oder einen der Kellerräume präpariert haben müssen. Der Dachboden war keine Option, die Polizisten würden gewiss auch dort alles durchsuchen. Von dem Boden aufs Dach zu klettern, wäre mir selber zwar trotz meines Armes und des kaputten Knöchels möglich gewesen, wohl auch Hannah, aber bestimmt nicht Mama.
    Wir hatten keine Wahl. «Jetzt werden wir», sagte ich den anderen beiden, «herausfinden, was Simons Papiere wert sind.»
    Aus dem Nebenzimmer hörten wir, wie die Leute aus Kraków sich auf den Weg in den Hof machten. Einige der Kinder weinten, aber keiner der Erwachsenen tröstete sie. Die Väter murmelten lediglich ihre Gebete.
    Hannah stand mitten in unserem kleinen Loch auf der Matratze und kaute an ihren Fingernägeln. Das hatte sie vorher noch nie gemacht. Mama begann hektisch Kleidung zusammenzutragen und in eine große Tasche zu stopfen, einen Koffer besaßen wir nicht.
    «Was soll das?», fragte ich.
    «Wenn die meine Papiere nicht akzeptieren, müssen wir doch Sachen für den Osten haben.» Sie strich Hannah nun über das Haar: «Da wird es im Winter kalt. Willst du etwa, dass Hannah friert?»
    Die Kälte des Ostens würde nicht unser Problem werden. Das ahnte Mama auch, aber sie verdrängte es lieber. Ich ließ Mama weiter packen und Hannah weiter Fingernägel kauen, auch wenn ihr linker Zeigefinger am Rand schon blutig war. Ich strich mit meiner Hand über das teilweise gesplitterte Holz des Tisches und versuchte mich nur auf dieses Tastgefühl zu konzentrieren. Ich wollte wieder spüren, dass es etwas anderes als meine Angst gab. Doch da schrie eine fremde Stimme nebenan den Leuten aus Kraków zu: «Schneller, schneller, schneller!»
    Die Stimme überschlug sich fast. Sie klang nicht alt, sondern hektisch, gar überfordert. Die Frauen protestierten, riefen durcheinander, dass sie noch nicht alle Sachen zusammenhatten. Ihre Männer hingegen blieben stumm, und die Polizistenstimme schrie: «Das ist mir scheißegal! Scheißegal!»
    Jetzt begannen auch einige der Frauen zu weinen, während die Leute – den Geräuschen nach zu urteilen – allesamt aus der Wohnung getrieben wurden.
    Mama hörte vor lauter Schreck mit dem Packen auf. Auch wenn wir dank des

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