28 Tage lang (German Edition)
schicken», erklärte er verzweifelt. «Das musst du mir glauben.»
Würde er das wirklich nicht? Konnte man einen schrecklicheren Verdacht gegenüber seinem eigenen Bruder hegen?
«Glaubst du mir, Mira? Glaubst du mir?», fragte Simon mich und schüttelte mich dabei wieder.
Er würde sich erst beruhigen, so viel war klar, wenn ich ihn anlog.
«Ich glaube dir.»
Er ließ von mir ab und insistierte: «Wir müssen euch ein Versteck bauen.»
Simon wollte uns helfen, um sich selbst zu beweisen, dass er nicht so ein Schwein war wie die anderen. Deswegen also war er nach all der Zeit das erste Mal wieder zu uns gekommen. Um sein Gewissen zu erleichtern, sich selbst zu beweisen, dass er ein guter Mensch war, der nur gezwungen wurde, Böses zu tun.
Wir gingen ins Haus, und er erklärte beim Treppensteigen: «Ich werde euch jeden Tag zu essen bringen. Ich kann mehr als genug auftreiben.»
«Hast du so viel Geld?», fragte ich und bereute gleich im nächsten Augenblick, dass ich ihn darauf angesprochen hatte, konnte ich mir doch denken, woher das Geld stammte. Von verzweifelten Juden, die ihm Bestechungsgelder gaben, damit er sie verschonte.
«Ich habe geheiratet», antwortete Simon.
Ich verstand nicht ganz.
«Leah, die Tochter eines reichen Juden. Er hat mir Geld dafür gegeben. Viel Geld.»
Und als Frau eines Polizisten wurde sie nicht deportiert. Die Liebe war im Ghetto endgültig gestorben.
In unserer Wohnung angekommen, stellte Simon den Korb mit Essen auf den Tisch. Mama wollte sich mit einer Umarmung bedanken, aber er wehrte sie ab. Er wollte wohl vermeiden, dass sie mit ihm sprach, ihm Fragen stellte, wo er all das leckere Essen herbekommen hatte, und er ihr dann womöglich erklären müsste, dass sie nun eine Schwiegertochter hatte.
Auch mit Hannah wollte er nicht sprechen, sie hätte ja fragen können, was er den ganzen Tag als Polizist so machte. Da er als unser Retter dastehen wollte, hätte er auf diese Fragen mit Lügen antworten müssen, und ihm war klar, dass Hannah viel zu klug war, um darauf reinzufallen.
Anstatt zu reden, lief Simon also in die Küche, genauer gesagt zu der kleinen Speisekammer, die von ihr abging und deren leere Regale einen daran erinnerten, dass man die Zeiten, als sie noch voll gewesen waren, nie richtig gewürdigt hatte.
«Das ist das richtige Versteck für euch», erklärte Simon.
«Da passen wir doch gar nicht alle rein», erwiderte ich.
«Wenn ich die Regale ausbaue, schon. Dann könnt ihr euch da zu dritt reinhocken.»
«Höchstens mit angewinkelten Beinen.»
«Aber ihr könnt es.»
«Die Deutschen werden doch eine Speisekammer öffnen», widersprach ich.
«Nicht, wenn etwas Großes davorsteht und man dadurch die Speisekammer gar nicht erst sieht.»
Er rannte ins Wohnzimmer. Ich folgte ihm zu einem riesig großen Vitrinenschrank. Dessen Glasfenster waren schmutzig, eins hatte sogar einen Sprung, und hinter dem Glas stand ein Haufen nicht allzu sauberes Geschirr, das die Familie aus Kraków zurückgelassen hatte.
«Die Vitrine müsste reichen, um die Kammer zu verbergen», befand Simon. «Ihr geht morgens vor Sonnenaufgang rein, und ich schiebe die Vitrine vor den Eingang. Und wenn die Deutschen nach Sonnenuntergang Pause machen, schieb ich sie wieder weg, und ihr könnt raus.»
«Was ist mit der Luft? Werden wir nicht in der Kammer ersticken?»
«Ich baue auch die Tür aus. Zwischen Vitrine und der Speisekammer bleibt dann ein Spalt, durch den genug Luft reinkommen wird.»
«Und wenn die Deutschen die Tür und die Regalbretter hier rumliegen sehen?» Mir behagte das Ganze einfach nicht.
«Ich werde sie so zerschlagen, dass man nicht erkennen kann, was sie ursprünglich mal waren, und in den Keller schleppen.»
«Und was ist, wenn du abends nicht wiederkommst?»
«Ihr könnt von innen die Vitrine auch wegschieben. Rauskommen ist also möglich. Ihr braucht mich nur, damit sie vor die Speisekammer geschoben wird, wenn ihr alle drin seid.»
Ich mochte immer noch nicht zustimmen. Das lag nicht daran, dass ich nicht die Notwendigkeit einsah, ein Versteck zu haben. Auch nicht an der Tatsache, dass wir Stunden in Enge und Dunkelheit verbringen müssten, tagein, tagaus. Etwas anderes bereitete mir mehr Bauchschmerzen.
«Wir sollen dir also unser Leben anvertrauen?»
«Ich bringe euch abends Essen und Trinken.»
«Ich hab dich was gefragt.»
«Hast du eine andere Wahl?», reagierte Simon beleidigt.
Ich hatte keine. Doch das wollte ich nicht zugeben und
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