28 Tage lang (German Edition)
Haus. Soldaten zündeten sich Zigaretten an und plauderten, Judenpolizisten wischten sich den Schweiß von der Stirn. Selbst in diesem Augenblick konnte ich nicht anders, als nachzusehen, ob sich mein Bruder bei ihnen befand, und ich war erleichtert, dass er nicht dort unten stand.
Ich sah hinüber zu Daniel. Er war weiterhin bewusstlos. Vermutlich würde er es länger bleiben. Hoffentlich hatte er keine Gehirnerschütterung. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie jemanden geschlagen, und jetzt hatte ich ausgerechnet Daniel verletzt.
Im Moment konnte ich nichts für ihn tun. So lag ich weiter flach auf dem Dach, um nicht gesehen zu werden, und beobachtete, was da unten vor sich ging. Die Judenpolizisten sahen erschöpft und verzweifelt aus, während die SS -Leute eher gelangweilt dreinblickten. Einer von ihnen machte einen Scherz, drei oder vier lachten darüber. So dreckig, wie sie lachten, war es gewiss ein unanständiger Scherz gewesen.
Worauf zum Teufel warteten sie? Warum zogen sie nicht ab? Das war seltsam. Und es bedeutete nie etwas Gutes, wenn die Deutschen sich seltsam verhielten.
Es dauerte vielleicht eine Viertelstunde, bis die Tür des Waisenhauses wieder aufging. Heraus trat Korczak. Er trug eine Uniform der polnischen Armee, der er einst angehörte. In jeder Hand hielt er das Händchen eines kleinen Kindes. Links von ihm ging ein Junge, der mit seiner anderen Hand einen schmuddeligen Teddybär fest an sich drückte. Rechts von ihm ein kleines blondes Mädchen mit süßen Zöpfchen. Sie trug eine Puppe, der ein Bein fehlte und mit der sie redete. Gewiss, um die Puppe zu trösten, dass sie keine Angst haben müsste vor dem, was kommt.
Hinter Korczak trat einer der älteren Jungen auf die Straße. Er war vielleicht dreizehn Jahre alt und hielt mit beiden Händen eine große Fahne hoch. Es war die von König Macius, der Kinderfigur, die Korczak einst erfunden hatte. Die Flagge war grün, und auf einer Seite prangte ein blauer Davidstern auf weißem Untergrund. Während die Armbinden, die wir alle tragen mussten und auf denen der gleiche Stern abgebildet war, ein Zeichen der Schmach waren, war diese Fahne ein Zeichen des Stolzes.
In jeder anderen Situation hätten die Soldaten sie dem Jungen sofort entrissen, aber sie ließen es bleiben. Die Würde, die Korczak ausstrahlte, flößte sogar ihnen Respekt ein.
Nach und nach traten alle zweihundert Kinder aus dem Haus. Sie trugen ihre besten Anziehsachen. Einige von ihnen hatten einen kleinen Ranzen auf den Rücken geschnallt, als ob es zu einem Wandertag ginge.
Korczak hatte offensichtlich vorher mit den SS -Leuten ausgehandelt, dass die Kinder noch etwas Zeit bekommen, um sich zurechtzumachen, und dass sie nicht von schreienden Soldaten auf die Straße getrieben werden und so noch mehr Angst bekamen.
Die Waisen stellten sich in Viererreihen auf, hielten sich an den kleinen Händchen gegenseitig fest und machten sich dann mit ihren Betreuern auf den Weg. Vorweg Korzcak mit dem Jungen, der seinen schmuddeligen Teddybär nun halb vors Gesicht hielt, und dem Mädchen, das weiter auf ihre Puppe einredete und ihr zwischendrin immer wieder ein Küsschen gab.
Die SS und die Judenpolizisten hielten sich zurück. Normalerweise schrien sie die Menschen an, damit sie eilig zum Umschlagplatz gingen, und knüppelten auf sie ein, wenn es ihnen nicht schnell genug ging. Oder wenn sie einfach nur schlechter Stimmung waren.
Doch diese kleinen Menschen mussten nicht getrieben werden. Angeführt von Korczak, gingen sie ganz geordnet in der Mittagshitze die Ghettostraße entlang.
Die Fahne des kleinen König Macius wehte dazu leicht im Wind.
Sie erinnerte mich an die Geschichte, in der der kleine König stolz und erhobenen Hauptes zu seiner Hinrichtung geschritten war.
Ob die Kinder jetzt auch an diese Geschichte dachten?
Jedenfalls gingen sie erhobenen Hauptes.
Und mit einem Lied auf den Lippen:
«Wenn der Sturm uns auch umtost,
halten wir uns dennoch alle aufrecht.»
Einige der Judenpolizisten begannen zu weinen.
Und auch ich weinte, während die Kinder sangen.
23
Daniel wachte am späten Nachmittag wieder auf. Ich hatte Angst. Vor Daniel. Ich hatte das Richtige getan. Ja, das hatte ich! Aber würde Daniel das auch so sehen?
Er richtete sich auf und taste seinen Hinterkopf ab. Der musste bestimmt noch höllisch weh tun, aber Daniel unterdrückte den Schmerz, betrachtete stattdessen seine Finger, an denen nun etwas Blut klebte.
Erst nach einer Weile sah
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