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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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er zu mir. Seine Augen verrieten, dass er nicht fassen konnte, was ich getan hatte. Doch er verlangte keine Erklärung für meine Tat, rappelte sich stattdessen schnell auf, zu schnell für seinen Zustand. Er wankte, ich wollte ihn stützen, doch er schob meinen Arm rüde weg. Erschrocken trat ich einen Schritt zur Seite.
    Daniel sammelte sich. Er ging zur Dachluke und wollte sie öffnen, um zu den Kindern zu gehen. Anscheinend hatte er keine Ahnung, wie viele Stunden bereits vergangen waren, hatte nicht bemerkt, dass die Sonne mittlerweile viel tiefer stand.
    «Sie sind weg», sagte ich leise.
    Er öffnete die Luke dennoch. Er hatte mich nicht gehört. Oder, wahrscheinlicher, er wollte mich nicht hören.
    «Sie sind weg», wiederholte ich nun ein klein wenig lauter. Und fügte hinzu, als er immer noch nicht auf mich reagierte: «Sie … sie sind schon in den Zügen.»
    Daniel drehte sich langsam zu mir um. Erst war er fassungslos. Dann rang er mit den Tränen. Tränen der Wut.
    «Dazu hattest du kein Recht.»
    «Ich …», stammelte ich und wollte ihm sagen, dass er mir doch keine andere Wahl gelassen hatte.
    «Dazu hattest du kein Recht.»
    «Du wärst jetzt tot …», erwiderte ich leise.
    «Mein Platz war an ihrer Seite!»
    «Ich hätte das nicht ertragen …», flüsterte ich.
    Seine Augen funkelten vor Hass. Für ihn war ich schuld, dass Korczak und die Kinder fort waren. Nicht die SS . Ich war dafür verantwortlich, dass er ohne seine Familie weiterleben musste, anstatt mit ihnen in eine andere – wie Korczak es in seinem Theaterstück geschrieben hatte –, hoffentlich bessere Welt zu gehen.
    «Ich liebe dich», sagte ich zu ihm.
    Das erste Mal.
    Noch nie wurde ich von einem Menschen so gehasst wie in diesem Augenblick.

24
    Wie eine Schlafwandlerin ging ich durch die Straßen des Ghettos. Ohne etwas zu spüren. Weder die Hitze, noch den Durst, noch meine von der Sonne verbrannte Haut. Ich achtete nicht auf meine Umgebung, noch nicht mal darauf, ob hinter der nächsten Ecke eine Blockade der SS lauerte, in die ich hineingeraten könnte. In meiner Seele war ein Loch.
    Man spürt, wenn man einen Menschen für immer verloren hat. Und ich hatte Daniel für immer verloren.
    Erst als ich vor unserer Haustür stand, fiel mir wieder ein, dass ich mich ursprünglich auf den Weg gemacht hatte, um Simon aufzusuchen. Und das fiel mir wieder ein, weil mein Bruder von der anderen Seite auf unser Haus zuging. Mit einem Korb voller Brot, Schinken und Käse in der Hand. Essen, das mir keinen Appetit machte, obwohl mein Körper hätte hungrig sein müssen.
    «Wir müssen reden», sagte Simon eindringlich, als wir uns direkt vor unserem Haus begegneten.
    Ich antwortete ihm nicht.
    «Wir müssen reden», wiederholte er.
    «Du redest ja schon», antwortete ich matt und setzte mich auf die Stufen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ging über den Häusern die Sonne unter. Ein Feuerfarbenspiel, in dessen Anblick ich mich am liebsten für immer verloren hätte.
    «Wir müssen euch ein Versteck bauen», drängelte Simon.
    Ich antwortete nicht, betrachtete nur den feurigen Himmel.
    «Mein Gott, Mira!» Simon packte mich an den Schultern und zog mein Gesicht nah an seins: «Niemand ist mehr sicher. Sie werden alle holen!»
    Sein Atem stank nach Zigarettenrauch. Seit wann rauchte er? Egal.
    «Sie werden alle Häuser durchsuchen, wieder und immer wieder», redete er auf mich ein. «Weil nicht genug freiwillig zum Umschlagplatz gehen, nicht mal wegen der Marmelade, haben sie uns Polizisten gedroht: Wer nicht jeden Tag fünf Juden aufstöbert, wird selbst abtransportiert.»
    Jetzt hatte er meine Aufmerksamkeit: «Du … lieferst Juden ans Messer?»
    «Was soll ich denn sonst machen?», fragte Simon verzweifelt.
    Daniel wäre am liebsten mit seinen Waisengeschwistern in den Tod gegangen, und mein Bruder schickte andere ins Verderben, um selber zu leben.
    Was für ein Mensch will man sein?
    «Aber», so versuchte er sich zu verteidigen, «ich bringe nur Fremde zu den Zügen.»
    Was sollte das denn heißen? Was war das für eine Entschuldigung für sein Verhalten?
    «Andere Polizisten treiben aus lauter Verzweiflung ihre eigenen Eltern zum Umschlagplatz …»
    «Was?»
    «Diese Schweine sagen», erklärte Simon, «die Eltern hatten doch schon ihr Leben. Ich hab meins noch vor mir.»
    Er nannte seine Kollegen Schweine, als ob ihn das selbst in einem besseren Lichte darstellen würde.
    «Ich würde nie meine Familie in den Tod

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